Ist Kirche Zweck oder Selbstzweck?

Auf diese Weise formuliert ist die Überschrift eine rhetorische Frage. Oder etwa nicht? In der Praxis scheint die Antwort manchmal nicht so eindeutig.

Zu meinen Aufgabenfeldern im Prozess der Pastoralen Räume zählt das Thema der sozialräumlichen Orientierung: Wo leben wir und in welches (soziale) Umfeld sind wir als Kirche gestellt? Diese anfangs banal klingende Frage spielt doch immer wieder eine entscheidende Rolle, wenn diskutiert wird, welche ganz praktischen Aufgaben Kirche wahrnehmen soll. Kirche ist ja immer regionale Kirche und eine Pastoral in Hamburg Mitte sollte sinnvollerweise anders aussehen als eine Pastoral auf Sylt oder im mecklenburgischen Matgendorf. Die Sozialraumorientierung ist somit eine Vorbedingung, um durch die Erkundung des Sozialraums erst einmal mögliche Aufgaben und Themen wahrzunehmen, bevor man sie dann konkret wahrnimmt, also ausübt. Die Frage, wohin wir gestellt sind und welche Auswirkungen dies auf unser Kirche-Sein hat, bringt in Gremiensitzungen einiges an Diskussionsstoff mit sich. Und schnell zeigen sich zwei grundlegende Ausrichtungen: diejenigen, die vorrangig Kirche als Institution stärken möchten und diejenigen, die vorrangig ihren Glauben leben wollen, also eher missionarisch ausgerichtet sind.

Kirche als Institution und damit als Organisation zu stärken bedeutet, die Kirche und ihre Angebote attraktiv(er) machen, mehr Mitglieder werben, die Außendarstellung verbessern, die vorhandenen „Nutzer“ (ggf. auch die „Mitglieder“, die nicht mehr Nutzer sind) zufriedener machen, etc. Beispielhaft äußert sich dies in folgendem Kommentar: „Wir sollten uns zuerst und vorrangig um die Menschen kümmern, die bei uns sind. Wenn wir die auch noch vergraulen, kommt bald niemand mehr.“ Die institutionelle Selbsterhaltung ist hier die vorrangige Maxime. Gerade in Zeiten, die als Krise erlebt werden (sinkende Mitgliederzahlen, Relevanzverlust, kritisierte Traditionen, etc.), scheint dieser Aspekt wichtig(er) zu werden. Als Werte stehen Bewahrung, Erhaltung und Sicherheit hinter diesem Standpunkt. Innovationen und neue Gedanken werden dann vorrangig mit der Zielrichtung auf Verbesserungen der Außenwahrnehmung und der Attraktivität eingebracht.

Seinen Glauben zu leben bedeutet hingegen, sich an Jesus und dem Evangelium zu orientieren und anderen von dieser Hoffnung zu berichten (ein Theologe könnte dies bestimmt treffender formulieren, aber als Arbeitshypothese sollte es hier ausreichen). „Das zweite vatikanische Konzil sagt, die Kirche solle sich um die Menschen kümmern und ihre Freude und Hoffnung, ihre Trauer und Angst ernst nehmen und sich zu eigen machen.“ Christen sollen also bei den Menschen sein und das Leben mit ihnen teilen. Die Institution Kirche dient dann lediglich als Hilfsmittel, um diesen Auftrag zu leben zu können. Gelegentlich gibt es noch einen Nachsatz: „Und wenn dieses Handeln dann noch Menschen dazu bringt, sich taufen zu lassen oder zumindest in den Gottesdienst zu kommen, dann ist es umso besser.“ Der Auftrag Jesu scheint hier Priorität zu haben, der Nutzen für die Sozialform/Organisation eher sekundär.

Diese beiden Motivationen schließen sich nicht zwangsläufig aus, aber sie stehen in der Praxis in einem gewissen Spannungsfeld zueinander, bspw. wenn Ressourcen knapp sind und Entscheidungen über Prioritäten anstehen. Wie also umgehen mit diesem Spannungsfeld? Wie verhalten sich Organisation und Auftrag zueinander? Rainer Bucher hat auf dem Katholikentag 2008 dazu sehr pointiert formuliert:
„Das Evangelium dieser Welt zu erschließen, indem sie es von den Menschen dieser Welt her entdeckt, dieses Entdeckungsgeschehen ist das Kerngeschäft der Kirche. Das Konzil nennt es übrigens „Pastoral“. Alle Sozialformen in der Kirche sind dazu da – und nur dazu.“(Bucher 2008)

Eine klare Positionierung aus theologischer Sicht: Kirche ist nur ein Mittel zum Zweck und sollte so organsiert sein, dass sie unterstützend wirkt für die eigentliche Aufgabe. Dann wird sie gebraucht. Und dann steht sie der Verkündigung auch nicht im Wege. Das Bistum Magdeburg bezieht in seiner Online-Kommunikation hier sehr eindeutig Stellung:

Guten Tag,

Kirche ist kein Selbstzweck. Gott geht es um alle Menschen. Damit das nicht vergessen wird, gibt es die Kirche in unserem Land. Obwohl wir Christen eine Minderheit sind, möchten wir in vielfältiger Weise für die Menschen da sein. Unser Dienst zielt darauf ab, den Menschen zu helfen, dass ihr Leben gelingt.

Ich hoffe, Sie nutzen unser Informationsangebot mit Gewinn. Sollten Sie Fragen, Anregungen oder Wünsche an uns haben, lassen Sie es uns wissen,

Thomas Lazar
Internetbeauftragter des Bistums Magdeburg

Als Berater kann ich raten, sich in Krisenzeiten nicht auf „mehr desselben“ zurück zu ziehen, weil es systemisch nicht funktioniert. Wenn Lösungsansätze zu einer bestimmten Situation geführt haben, dann hilft es nicht, wenn die gleichen Lösungsansätze effektiver, effizienter, schneller und verstärkter angegangen werden. Es braucht dann andere Wege und neue Ideen. Und nun zu betonen, dass in einem solchen Fall die Organisationsentwicklung und Gemeindeberatung zur Verfügung stünde, wäre ein unnötiger Werbeblock und für die Leser*innen dieses Blogs ohnehin selbstverständlich. 😉

Foto: © Steffen Debus


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