Kein Pastoralplan ohne Personalplan – über einen unterbelichteten Entwicklungsimpuls

„Entscheidend ist auf’m Platz“ sagt man im Sport. Und es stimmt: Entscheidend für die Platzierung in einer Liga oder in einem Turnier ist das Ergebnis am Ende der Spielzeit. Aber wenn es auf dem Platz nicht fluppt? Wird auf kurz oder lang der Trainer ausgewechselt. Und viele Beispiele zeigen: Das hat eine Wirkung. Ein anderer Trainer holt aus den gleichen Spielern wieder oder ganz neu etwas heraus.

Es mag sich um einen alteingesessenen Verein handeln, der auf beachtliche frühere Erfolge zurückblicken kann. Die Finanzen mögen solide sein, die Fans treu, die Spieler individuelle Klasse haben. Und auch wenn der Trainer in der Vergangenheit zu Erfolgen geführt hat, richtet sich der Fokus in Krisensituationen vor allem auf den Trainer und seinen Stab.

Das wundert nicht. Führungskräfteplanung ist ein strategisches Instrument, das Entwicklung ermöglichen soll. Und nicht nur Sportvereine, auch Wirtschaftsunternehmen, Regierungen und Parteien sehen im Personaleinsatz ein normales Steuerungsinstrument. Da wird kein neues Leitbild geschrieben, nicht das Produkt gewechselt, nicht die Organisationsstruktur neu erfunden.

Pfarreien, die sich in Entwicklungsprozessen befinden schreiben sich die Finger an Leitsätzen wund, denken sich Zielgruppen- und Ressourcenorientierte neue Konzepte noch und nöcher aus, versammeln ein ums andere mal die Gemeinde zu Versammlungen und Konventen um sie mit auf den Weg in Richtung Zukunft zu nehmen. – Keine Frage, ich bin ein Befürworter all dieser Dinge und vom Erfolg dessen überzeugt. Aber ich möchte die Perspektive aus meiner Tätigkeit in der Pastoralberatung heraus ergänzen: Was ist mit dem „Trainer und seinem Stab“?

„So wenig wie Theologie heute gesellschaftspolitischen Debatten in der Öffentlichkeit ausweichen kann, so wenig darf sie es versäumen, die binnenkirchliche Gestaltung von Personalentwicklung als Beitrag zu einer zukunftsfähigen Kirche fortwährend kritisch zu begleiten und zu reflektieren.“ (Quellenangabe für dieses und die folgenden Zitate siehe unten)

In manchen Bistümern wird viel Pastoralplanung betrieben, aber wenig bis kaum Personalplanung. Dabei ist es trivial, dass ein gesteuerter Personaleinsatz auf einer Führungsposition Wirkungen auf die Organisation hat. Meine These lautet: Kein Pastoralplan ohne Personalplanung, keine Organisationsentwicklung ohne Personalentwicklung.

„Der Mittelbau und die B-Player sind Stiefkinder der Personalentwicklung.“

Nur einige diözesane Entwicklungsprozesse widmen sich dem Thema. Nur wenige Pastoralkonzepte beschreibt das Profil von Pfarrer, hauptberuflichen „Pastoralwerkern“ (um den sympathischen Begriff aus den Niederlanden zu benutzen) und den anderen sozialen Diensten einer Pfarrei im Kontext von Leitbild, Zielgruppe, Ressourcen und Gemeindeidentität. Kritisch befragt: Welche Personalabteilung macht nicht nur kompensierende Personalbegleitung, sondern kriteriengeleitete Personalentwicklung? Welcher Personaleinsatz wird an der spezifischen Situation „des Vereins, der Fans und der Mannschaft“ orientiert? Ist die Berufungspastoral auf der Suche nach den intelligenten Querdenkern, den charakterstarken Persönlichkeiten, den innovativen Tüfftlern? Auch „Fans und Mannschaft“ müssen sich fragen, ob sie sich vom geliebten Trainer trennen könnten, wenn es denn dem „Spiel“ dient. Oder ihn auf eine Fortbildung schicken, damit er neues Know-How erlernt und die Wertschöpfungskette weitergeht.

„Berufsbilder erschließen sich heute nicht mehr aus einfachen Signalen, der Auftrag der verschiedenen pastoralen Dienste ist nicht mehr objektiv vorgegeben, sondern muss ausgehandelt und bestätigt werden.“

Es hängt wohl mit dem mentalen Modell der „Familie“ – Kirche als Schicksals-, nicht als Funktionsgemeinschaft – zusammen, dass dieser OE-Bereich in den Diözesen (bislang) unterbelichtet wurde. Wieviel Personalentwickler hätte ein Unternehmen, das ca. 1.000 Mitarbeiter in Führungspositionen hat? Das Generalvikariat des Bistums Münster hat vier (Stand 2016).

Es hängt auch mit der früheren Überversorgung und dem stabilen Systemumfeld zusammen, in dem „Ausfälle“ kompensiert werden konnten. Mancher Hauptamtlicher – nicht nur bei den Priestern – konnte mit durchgezogen werden. Die Gemeinden haben es mit Demut ertragen, es waren ja auch genug andere da.

„Beschäftigte in der Pastoral sind Schaufenster von Kirche, sie sind wie in jedem Unternehmen der Schlüsselfaktor in Erneuerungsprozessen. Glaubwürdigkeit der Kirche in ihrer sakramentalen – im Sinne von heilsstiftenden – Gestalt bildet sich in den Menschen, auch in ihrem hauptberuflichen Personal ab.“

Der Zölibat als Lebensform fördert in der Lebensweise des Ein-Personen-Haushalts zudem das Einzelgängertum – die „Vita Communis“ von Priestern kommt unter den Diözesanpriestern erst seit kurzem wieder in den Blick. Auch in den anderen pastoralen Berufsgruppen ist die Zahl der Alleinstehenden signifikant. Kein Wunder, da das asketische Ideal die Norm ist.

In einer solchen Umgebung konnte sich deswegen aber eine Ich-bezogene Haltung entwickeln („Ich bin mein eigener Herr. Ich kann so agieren, wie es mir passt“), die nun Schritt für Schritt „herausentwickelt“ werden muss.

Der theologische Überbau ist die geistgewirkte Weihe, bei hauptberuflichen Laien die kirchliche Entsendung. Die Menschen stellen sich Gott zur Verfügung. Aber ist Personalentwicklung als OE-Instrument deswegen nicht angezeigt? Es stimmt ja, die Kirche ist vom Heiligen Geist geleitet und alle, die an der Sendung mitwirken, sind geistbegabt. Aber das bedeutet nicht Untätigkeit und Hände-in-den-Schoß-legen, sondern Hinhören auf das Rufen und Locken des Geistes. Charismenorientierung darf dabei kein Schönwetterwort für Mangelverwaltung sein. Wo Personalalternativen fehlen, müssen diese entwickelt werden oder das Fehlen klar benannt und damit umgegangen sein.

„Für Personalentwicklung im kirchlichen Kontext wird die Zweigestaltigkeit der Kirche als mystischer, unsichtbarer Leib Jesu Christi einerseits und als Weltkonzern und großer Arbeitgeber andererseits zur besonderen Herausforderung.“

Was geht mir zu alledem nun aus OE-Beratungssicht durch den Kopf?

  • Es ist m.E. angezeigt, die Mitarbeiter*innen aus der Engführung des kirchlichen Familienmodells herauszuführen und an der Haltung zum „eigenen Verein“ arbeiten zu lassen. Ziel wäre die Freistellung der Umklammerung („Ich bin doch nur hier etwas“) und eine Verankerung/Beheimatung auch außerhalb kirchlicher Kontexte. Das schafft Agilität für die System-Umwelt-Koppelung. Die jüngere Seelsorger*innen-Generation bringt i.d.R. diese Haltung mit. Im Moment verdrängt die quantitative Übermacht der älteren Kolleg*innen aber noch die Impulskraft dieser nicht folgenlosen Veränderung.
  • Das Wissen um und die auch persönliche Arbeit mit Funktionsrollen in Arbeitsprozessen kann nutzbar gemacht werden – das Wissen um Belbin-Rollen, Arbeit mit dem Team-Management-System o.ä. Denn wer eine Sprache für das „Neue“ findet und sie als Hilfe erlebt, geht leichter damit um.
  • Neben den bereits vielfach etablierten Mitarbeitergesprächen als Instrument der Wertschätzung und Zielvereinbarung zwischen Pfarrern und Mitarbeitern gehören solche Gespräche zwischen Pfarrern und der nächsthöheren Führungsebene eingeführt. Bei aller kirchen- und staatskirchenrechtlichen Eigenständigkeit der Pfarrer und aller Selbstorganisation der Pastoralwerker ist der organisatorische Überbau zu markieren: Wir reden nicht über Freiberufler oder Franchise-Nehmer sondern Mitarbeiter des Bischofs – das wird ja auch in jedem eucharistischen Hochgebet, dem „Mission Statement“ der Kirche, beim Namen genannt. Mein Eindruck ist, dass die vielfach anzutreffende Abneigung gegenüber bischöflichen Anordnungen eher der  Bequemlichkeit unter dem Etikett der persönlichen Freiheit/Expertise/Berufung nutzt. Ein solches Gespräch kann ja auch ein Ringen um die gemeinsame Richtung sein, keinesfalls ist es als „Abnicken“ mißzuverstehen. Und natürlich braucht es eine Vorarbeit: Die Führungsebene muss wissen, was sie will und sie muss in der Lage sein, dies anschlussfähig zu kommunizieren.

Ich nehme wahr, dass Dinge wie diese zunehmend in den Blick geraten. Und ich rechne es denen, die hier etwas initiieren hoch an, dass sie es wagen, trotz aller Sprengkraft im bisher verminten Gelände Schritte zu setzen. Es ist ihnen Erfolg zu wünschen, Solidarität versprochen und Mithilfe zugesagt.

Die eingestreuten Zitate sind entnommen:
Christine Schrappe: Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Ein Schlüsselinstrument zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Kirche. Echter, Würzburg 2012.

Foto „Steuerpult der Spiekeroog I“ (c) Jan-Christoph Horn


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