Kirchenentwicklung 2019 – Ein Überblick

(Update Juli 2019)

Angenommen, man könnte anhand von Studientagen und Kongressen im Bereich der Kirchenentwicklung im Jahr 2019 Entwicklungsrichtungen und Deutungsschwerpunkte ablesen: Welche wären das? – Die Autoren von kirchenentwicklung.de haben mal Ausschau gehalten. Und wir haben Veranstaltungen gefunden, auf denen einer von uns auftauchen könnte.

JANUAR: „Planen in der Kirche. Räume öffnen, (keine) Wunder erwarten“ – Tagung zu 50 Jahre Schweizer Pastoralsoziologisches Institut

Die erste Interessante Tagung des Jahres ist zur Publikation dieses Beitrags bereits Geschichte.

JAN-CHRISTOPH HORN: Ich war wirklich kurz davor, nach St. Gallen zu reisen. Nicht nur aufgrund der Nähe zum Bodensee. Wie es einem Institut entspricht, das einerseits pastorale Faktizitäten erkundet, andererseits (durch den Institutsleiter Dr. Arnd Bünker geprägt) missionswissenschaftliche Theologie betreibt, stand, in schöner Anlehnung an den frühmittelalterlichen St. Gallener-Klosterplan, die Frage nach der „Raumplanung“ im Mittelpunkt. Dort, wo Mönche früher große Pläne schmiedeten und über Jahrhunderte reiche (Wissens)Schätze in ihrer Bibliothek ansammelten, in einem Kernland der Reformation, mit für den deutschen Sprachraum verblüffenden katholischen Kirchenstrukturen, in einem multikulturellen und v.a. säkularen Staat danach zu fragen, bedeutet aus bundesdeutscher Sicht, vom Kleinen zu lernen, über die Freiheit zu staunen und die Vielfalt zu ehren. „(Keine) Wunder erwarten“ stand im Untertitel. Allein mit dieser Formulierung ist Kirchenentwicklung markant tituliert. Was würde wohl ein Pfarreirat oder Seelsorgeteam zu Beginn einer entwicklerischen Klausurtagung zu diesem Impuls sagen?

FEBRUAR: „Formational – Glaube, der verändert“ – FreshX-Jahrestagung

Die freshX-Bewegung ist ein Impulsgeber für pastorale Entwicklung. Sie ist inzwischen fest etabliert, so dass es erstmals eine Jahrestagung gibt.

JAN-CHRISTOPH HORN: freshX packt die Themen gar nicht mal so gänzlich neu an, aber in einer – wie der Name schon sagt – erfrischenden Art. Und das ist eine gute Art, Kirchenentwicklung zu betreiben. Nicht zu vergessen sei dabei der Ausgangspunkt der Bewegung: Die Erkenntnis, dass Kirchenentwicklung in der Regel neben den etablierten pastoralen Bewegungen stattfinden muss. Zugleich fokussiert freshX einen Gründungsimpuls der Kirche: Mission, Sendung, Gehen. Eine erfrischende Wanderung raus in die Welt – ja, das ist gut. Mit dem Leitwort „Formation“ über der Jahrestagung ist zugleich eine wichtige Ressource dafür benannt: Die lebendige und mündige Christ*in. FreshX-Projekte zielen darauf ab. Wir brauchen ganz bestimmt mehr davon. Die Tagung wird vermutlich ein Kraft- und Inspirationsort für Multiplikatoren der freshX-Haltung sein.

STEFFEN DEBUS: Oh ja, FreshX klingt immer sehr verlockend. Die Volkskirchen befinden sich im Niedergang, was täglich sichtbarer wird. Und in diesen Zeiten des Umbaus, der sich wie ein Abbau anfühhlt, braucht es Gegenentwürfe: Wie kann Kirche im 21. Jahrhundert lebendig sein und Relevanz für die Menschen haben? Und genau eine solche Hoffnung tragen die FreshX-Projekte in sich. Es ist ein Experimentieren, das auch scheitern darf. Aber was kann uns Besseres passieren, als aus Fehlern lernen zu dürfen?!

Also werde ich am 8.2.2019 auch in Kassel sein. Das hat verschiedene Gründe:

  • Die Jahrestagung von FreshX hat mutmaßlich eine tolle Vernetzungsmöglichkeit sein mit Menschen, die Ideen haben, Motivation und Hoffnung für die Botschaft Jesu. Und da möchte ich möglichst viele kennenlernen und von ihnen lernen.
  • Michael Herbst hält einen Vortrag. Ich habe ihn bereits beim Kirche²-Kongress 2013 erleben können und war sehr beeindruckt.
  • Das Thema der Jahrestagung scheint mir die Kern-Herausforderung und der Ur-Grund von Kirchenentwicklung zu sein: Wie formt Glaube das Leben der Menschen und welche konkreten Auswirkungen ergeben sich daraus?

MÄRZ: „Weiter. Echter.Tiefer.“ – 2. Gnadauer Zukunftskongress

Aus dem freikirchlichen Bereich kommt diese Einladung.

JAN-CHRISTOPH HORN: Kirchenentwicklung gibt es auch mit charismatischem Anstrich. Die damit verbundene Leichtigkeit ist einerseits verlockend, andererseits ist die Grenze zur (theologischen) Leichtfertigkeit offen. Aber grundsätzlich schaue ich interessiert auf die pastoralentwicklerischen Aktivitäten der freikirchlichen Gemeinden, versprechen sie doch geistliche Tiefe, theologische Dichte, ästhetischen Genuss, persönliche Echtheit und zeitgemäße Formate. Also vielleicht zuviel. Ich war selber noch nie „leiblich“ in diesem Sektor unterwegs, vom Hörensagen scheint es aber durchaus möglich, dass hier manch Punkt gut getroffen wurde, weil es sich die Freikirchen von ihren Ressourcen her gar nicht leisten können, oft danebenzuliegen. Das finde ich als Katholik mit das spannendste, da nehme ich manche theologische Untiefe für in Kauf.

STEFFEN DEBUS: Seit zwei Jahren arbeite ich regelmäßig mit Menschen aus Freikirchen zusammen. Als Katholik gibt es für mich dabei eine große kulturelle Fremdheit, die einerseite eine Faszination, andererseits aber auch eine Überforderung in sich trägt. Bei aller Anfrage an „theologische Untiefen“ (wie Jan-Christoph Horn es formuliert) erlebe ich dort eine Begeisterung und eine Konzentration auf den Kern, der uns ehemaligen Volkskirchen sehr gut tun würde. Die andere Seite: Ich weiß nicht genau, was auf diesem Kongress passieren wird: „Leidenschaftlich glauben“ ist emotional aufgestellt, die konkreten Inhalte und Themen des Kongresses sind über die Webseite nicht wirklich gut auffindbar. Gibt es Inhalte? Oder wird das eher ein Stärkungs-Erlebnis für den eigenen Glauben werden?

APRIL: Inspirations- & Austauschtage für Entdecker*innen und Pionier*innen, Kirchehochzwei

Das ökumenische Netzwerk bringt Kirchenentwickler zusammen. Entsprechend ist diese Veranstaltung als Melting Point der Szene zu betrachten.

STEFFEN DEBUS: Im Gegensatz zur eintägigen FreshX-Jahrestagung geht es hier verstärkt um Austausch und Begleitung. Das Format mit zwei Modulen und einer Zeit dazwischen zum Reflektieren bietet die Möglichkeit, im eigenen Kontext Kirchenentwicklung zu gestalten und auszuprobieren. Zielgruppe sind vermutlich Menschen, die in Praxisprojekten stehen. Gleichzeitig lädt die Ausschreibung alle diejenigen ein, die eine Sehnsucht nach neuen Formen von Kirchesein in sich tragen. Verlockend, oder?

JUNI: KVI-Kongress

Die KVI Initiative – Kirche, Verwaltung & Information – ist ein freier Zusammenschluss kirchlicher Verwaltungsorganisationen, vom Ordinariat über einen Sozialverband bis zur caritativen Einrichtung. Einmal im Jahr wird zum Jahreskongress geladen.

JAN-CHRISTOPH HORN: Von pastoraler Seite ist die Verwaltungsseite der Kirche zu wenig im Blick. Und umgekehrt. Aus meiner Erfahrung in Pfarrei und Generalvikariat ist das fachliche und menschliche notwendige Zusammenspiel für die Kirchenentwicklung unterbelichtet. Entsprechend habe ich, als ich die KVI entdeckt habe, gedacht: „Aha, das könnte so ein Bindeglied sein.“ Ist es auch, aber nicht konsequent, dafür ist die KVI stark im sozialen Markt unterwegs. Vermutlich ist die KVI auch ein innerer Zirkel (… wie die Kirchenentwickler-Szene auch) und pflegt das Gefühl, nicht so wirklich relevant zu sein. Für Steffen Debus ist die KVI sogar ein Lobbyverein, die ihre eigenen Dinge voranbringen wollen. Was hier also an Entwicklung drinsteckt: An die Wichtigkeit der Verschränkung erinnert zu werden.

OKTOBER: Der Paulus-Code. Mitgliederorientierung heute.

Die Fragen nach Zufriedenheit und Mitgliederinteressen in der Kirche werden seit ein paar Jahren ehrlicher gestellt. Kirchenmitgliedschaft ist kein biographischer Automatismus.

JAN-CHRISTOPH HORN: Diese ökumenisch ausgerichtete Tagung befasst sich intensiv und mit Blick auf das Tagungsprogramm gut ausgewogen mit diesem Thema.Wissenschaftliche Untersuchungen, Führungsstrategien sowie innovative oder zumindest erneuerte pastorale Handlungsbeispiele lassen eine interessantes und kurzweiliges Format erwarten.

DEZEMBER: „Macht“ – 6. Strategiekongress für Entwicklung in Kirche und Gesellschaft

Alle zwei Jahre pilgert die Kirchenentwickler-Szene ins Kardinal-Schulte-Haus nach Bensberg bei Köln. Dem Team rund um Valentin Dessoy gelang es in der Vergangenheit, ein interdisziplinäres, kommunikatives und diskursives Tagungsprogramm auf die Beine zu stellen. Diesmal lautet das Thema „Macht und der Umgang mit Macht in der Kirche„.

STEFFEN DEBUS: Der Strategiekongress ist für mich DER Trendsetter im Bereich der Kirchenentwicklung. Themen, die dort auftauchen, beschäftigen mich in den Folgejahren immer wieder und nachhaltig. Hat das vielfältige Vorbereitungsteam einen guten Riecher für die Themen, die gerade dran sind? Oder setzen sie Themen, die dann aufgenommen und weiter bearbeitet werden? Oder bin ich in meiner Kirchenentwickler-Blase, so dass dort alles redundant wiederkehrt? Ich vermute, dass alles ein wenig zutrifft. Und das Thema „Macht“ und sein Gegenstück „Kontrollverlust“ ist für mich jetzt schon eines der wichtigesten Themen für die nächsten Jahre.

JAN-CHRISTOPH HORN: Ich kann mich Steffen Debus gut anschließen. Ich bin dabei sehr auf die Aufarbeitung des Themas gespannt. Ich erhoffe mir nicht die x-te Schleife am Ende eines dann vermutlich langen Diskussionsjahres über dieses Thema. Ich erhoffe mir knackige systemische Analysen, gute Speaker aus anderen Organisationskontexten, die das mit der Macht anders hinbekommen und kollegiale Transfers für Beratung und Pastoral. Ich hoffe zudem sehr, dass es den Veranstaltern gelingt, nicht nur die Innovatoren, Berater, Entwickler, treuen Paradigmatiker und das strategische Management der Ordinariate zu versammeln, sondern dass die Leitungsebene der Bistümer stärker vertreten ist. Gesprächsbedarf dürfte es ja eigentlich geben. Lasst euch gesagt sein: Dieser Kongress ist bereit, Antworten zu geben.

VORSCHAU FEBRUAR 2020: „Richtungsweisend“ – Willow-Creek Leitungskongress

Das Thema Leitung wird auch in der katholischen Kirche immer mehr zum intensiv ausgeleuchteten Thema – einerseits Frucht pastoraler Partizipationstheologie, andererseits der Ressourcenverknappung an priesterlichen Leitungsmännern zu verdanken. Entsprechend ist der Leitungskongress der inzwischen auch fest in Deutschland verankerten Willow-Creek-Community auch aus römisch-katholisch-amtskirchlicher Perspektive interessant.

JAN-CHRISTOPH HORN: Der Leitungskongress 2017 ist auch in der katholischen Kirche stark wahrgenommen worden. Entsprechend erwarte ich vom Kongress 2019 nicht wenig. Ich habe Lust, hinzufahren. Die – im weiten konfessionellen Sinne – ökumenische Suchbewegung einer Kirche, die präsent und prägnant geleitet wird, ist sicher reizvoll. Das für katholisch-deutsche Vorstellungen untypische, (weil) professionelle und ästhetische Veranstaltungsdesign – didaktisch, inhaltlich und ästhetisch – ist zudem eine Erfahrung wert: So muss es heute sein – und bis jetzt lösen nur wenige „katholische“ Veranstaltungen das ein. Also: Hingucken und lernen. Nach der Leitungskrise der Muttergemeinde in den USA (körperliche Grenzüberschreitung!) könnte zudem die Beobachtung der Reformulierung des Leitungsanspruchs auch für unsere Kirche lehrreich sein.

… Und, wenn Sie das alles so lesen: Wo sind Sie dabei? Welche Entwicklung schlagen Sie ein?

Foto von Maarten van den Heuvel auf Unsplash.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: