„Lasst uns doch mal 100 Leute einladen – Ehren- wie Hauptamtliche, die unserer Wahrnehmung nach an ihrem Ort und in ihrem Dienst offen für Neues, für Vernetzung, für Entwicklung sind – ihnen miteinander einen offenen Raum geben und sehen, was passiert.“ Das war der initiierende Satz für eine Veranstaltung des Bistums Münster, die am 11. Juni 2016 mit dem Titel „Pastorale Pioniere vernetzen“ in Münster stattfand.
Lasst uns doch mal …
Ausgesprochen wurde dieser Satz auf einer bistumsinternen Fachtagung zu Organisationsentwicklung, die gemeinsam von der Personal- und Pastoralentwicklung im Generalvikariat gestaltet wurde.
Thema der Fachtagung war die Netzwerkidee in der Pastoral. Am Ende bekamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Auftrag, im eigenen Arbeitsbereich nach einem Projekt zu schauen, in dem das neue Theoriewissen und deren pastorale Reflektion direkte Wirkung entfalten könne. Es fand sich eine Gruppe zusammen, die das Potential vorhandener Innovationen – zum Beispiel neue Modelle von Leitung, Mitverantwortung und Partizipation in Pfarreien – im Bistum heben und miteinander vernetzen wollte. In dieser bereits in ihrer Zusammensetzung verschiedene Berufsgruppen, Einsatzfelder und Bistumsregionen vernetzenden Gruppe fiel dann obengenannter Satz und damit der Startschuss für die genauere Klärung des Anliegens, das Einholen der Erlaubnis zur Durchführung, die Zusicherung von Ressourcen dafür und schließlich die konkrete Vorbereitung.
Dieser Einblick in die Entstehungsgeschichte des Treffens allein ist schon ein Werkstattbericht über die Organisationsentwicklung einer Bistumsstruktur: Die Zusammenarbeit der beiden zuständigen Hauptabteilungen ist eine wechselseitige Horizonterweiterung. Ein relevantes Thema wird sodann in einer offenen Atmosphäre behandelt, die zur Veränderung ermutigt, und – das sicher auch – die persönliche Qualität der Teilnehmenden stimmt.
Pastorale Pioniere – das ist nicht jeder, das ist nicht schlimm
Die vorgenommene gezielte Auswahl der Teilnehmenden durch persönliche Einladung geht quer zur bisherigen Gewohnheit. Bei aller verbleibenden Subjektivität in der Auswahl ging es eben nicht um Gießkanne oder Eintopf, sondern um Samen – um die Einschätzung, ob die jeweilige Person Impulse setzt und bereit ist, mit anderen in den Austausch zu gehen, um miteinander eine Lern- und Entwicklungserfahrung zu machen.
Der Blick richtete sich dabei nicht nur auf pastorale Hauptamtliche, sondern auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Caritas, in sozialen Einrichtungen, in der Schule, in den Fachstellen des Generalvikariats und nicht zuletzt auf freiwillig Engagierte in Kirche. Von wegen: Nur theologisch ausgebildete, vom Bischof bezahlte Menschen sind als pastorale Pioniere unterwegs!
Die tatsächliche Durchmischung ergab dann zwar einen Großteil Priester, Diakone, Pastoralreferenten und -referentinnen und nur einen kleineren Teil Ehrenamtliche. Was für dieses erste Treffen als gut zu bezeichnen ist, darf jedoch in Zukunft weiterwachsen. Das „gemeinsame Tor der Berufung“ (Papst Franziskus), die Taufe, bildet dafür den Boden. Gezeigt hat sich nämlich: Wir „Profis“ kennen die Ehrenamtlichen zu wenig. Um echtes Netzwerk – also eine offene, dynamische, strukturarme, interessengeleitete Organisationsform – zu sein, muss in Zukunft größere Anschlussfähigkeit der Potentialträger an pastorale Entwicklungsprozesse hergestellt werden. Dies ist eine erste Erkenntnis, bereits in der Vorbereitung der Konferenz.
Pionier-Sein
Mit dem Bild des Pioniers, zu Beginn der Konferenz eingeführt, wurde die besondere Kompetenz der versammelten Frauen und Männer im Rahmen des Gesamtauftrags von Kirche im Bistum Münster gehoben: Pioniere sind die, die vorangehen, die die Landschaft erkunden (vgl. die Kundschafter in Numeri 13), die kreative Lösungen für Hindernisse finden, die einen Weg probieren im Wissen darum, dass der in die Irre führen kann, um dann umzukehren und einen anderen Weg zu suchen, der schlussendlich anderen den Weg bereitet (vgl. Joh 3,30). Die Rolle der Wegbereiter ist dabei keineswegs eine bequeme Position. Pioniere müssen leidensfähig sein und mit einem Beharrungsvermögen „der Truppe“ und der Leitung rechnen (vgl. Exodus 15,24). Pioniere sind in der Wildnis ziemlich auf sich alleine gestellt und auf eine funktionierende Gemeinschaft angewiesen.
Das Bild setzte nach anfänglicher Verwunderung und auch persönlicher Irritation („Wer? Ich?“) tatsächlich eine Idee davon in Lauf, dass Organisationen für ihre Entwicklung solche Typen brauchen und dass es gut ist, einander zu kennen und voneinander zu wissen.
Ein offener Raum
Wer von der Konferenz ein klassisches Tagungsformat erwartete, wurde schon mit der Einladung auf ein gezielt anderes Format hingewiesen. Die Konferenz prägte verschiedene Settings von Erkundungs- sowie Austauschmethoden und bot die Möglichkeit, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu identifizierten Entwicklungs- und Innovationsthemen zusammenzusetzen.
Auch als Ort wurde sehr bewusst ein „Andersort“ gewählt, nämlich die ehemalige Garnisonskirche der britischen Armee in Münster, heute als „Friedenskapelle“ Konzert- und Veranstaltungsraum. Der Raum war offen und einladend gestaltet.
In der Einladung war von anderen Formen der Dokumentation und einem „pastoralen Side‑Kick“ die Rede. Gemeint war damit einerseits Andreas Gaertner als Graphic Recorder, der während der Konferenz fortwährend an einer großen Leinwand die Inhalte der Konferenz visualisierte und durch die gewählten Farben, Designs und Bildmotive seine Wahrnehmung des Konferenzgeschehens anbot. Die Leinwände wurden in den Pausen mit Interesse erkundet und ließen eine nonverbale Reflektionsebene während der Konferenz zu. Auch im Nachhinein sind sie von hohem Wert, da sie viel mehr beinhalten als reine Schriftform darstellen kann.
Die Rolle des „pastoralen Side‑Kicks“ übernahm Hubertus Schönemann, Leiter der KAMP in Erfurt. Er kam an mehreren Stellen zu Wort, spiegelte den Netzwerklern seine Eindrücke und bot Einordnungen in die übergreifenden kirchlichen Entwicklungsthemen an. Der Rückgriff auf die Themenfelder des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP, Bochum) war eine weitere Lesehilfe.
… und sehen, was passiert
Was passierte? Getragen von Engagement für die eigenen Interessen und der Bereitschaft, sich in einen Gesamtkontext von Kirchenentwicklung einzubringen, nutzten die Teilnehmenden die Konferenz mitunter sehr zielgerichtet und werbend für ihre Anliegen und Interessen. Die Suche nach Partnern verlief in der Regel positiv und so bildeten sich (in der Sprache der Netzwerktheorie) „High-Status-Gruppen“, als Knotenpunkt von Relevanz, Kompetenz und Potential.
Ob es dabei um Fundraising für Pfarreien, ehrenamtliche Gemeindeleitung, nachkonfessionelle Pastoral, Feierdimensionen im Leben, geistliche Gremienkultur oder ganz konkrete Projektideen wie die „AnsprechBar“ oder „adventliche Bald‑Botschafter“ ging – entscheidend war nicht, dass die Themen genuin neu sind, sondern dass es konkretes persönliches Interesse gibt, mit anderen daran zu arbeiten und damit das Potential, daraus auch wirklich etwas zu machen.
Im Netzwerk denken
Spürbar war insgesamt, dass dem Format zugetraut wurde, die Netzwerkbildung zu erreichen, die als Ziel gesetzt wurde. Es kennen sich jetzt eine ganze Reihe von Menschen mehr untereinander als zuvor. Unabhängig von „Ergebnissen“ sind Verbindungen geknüpft, die aktiviert werden können, wenn die Netzwerkpartner darin Potential sehen. Kirchenentwicklung, die sich am Potential orientiert, ist nämlich viel sinnvoller als Aufgabenverwaltung oder Strukturorganisation. Diese Art der Vernetzung einzuführen, und sie als Entwicklungsinstrument einzuführen, ist, wenn schon nicht Meilen-, so doch Baustein auf dem Weg der Kirche von der zementierten Institution zur fluiden und lernenden Organisation.
Einfach mal machen
Als Vertreter der Bistumsleitung war P. Manfred Kollig SSCC, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge, Teilnehmer der Konferenz. In seinem Statement rief er die Teilnehmenden dazu auf, die Konferenz als Ermutigung zu verstehen. Die Einladung, Anknüpfungspunkte mitzunehmen, wach zu bleiben für zu bearbeitende Themen und neue Wege auszuprobieren, mündete in eine Formulierung des Münsteraner Diözesanbischofs Felix Genn: „Machen Sie es einfach!“ Kollig sicherte Unterstützung und Begleitung durch die Hauptabteilung Seelsorge zu.
Das war mal etwas anderes. Und so hörte man hier und da: „Wie, können wir uns jetzt einfach mal treffen und weiterdenken? Das darf etwas kosten? Darf ich dafür Arbeitszeit einsetzen?“
Inwieweit im pastoralen Alltag letztlich wirklich Freiräume bleiben oder nicht doch die Organisation des bestehenden und unter Druck stehenden Systems die knappen Ressourcen bindet, musste auf der Konferenz offen bleiben.
Was wäre aber, wenn jeder und jede Hauptamtliche dauerhaft ein Teil an Arbeitszeit für Entdeckungs- und Entwicklungswege – für Pioniertaten – einsetzen oder beantragen könnte, deren Auswertungen verpflichtend in das Gesamtsystem zurückgebunden werden und damit Lernen des Systems ermöglichen? Bei aller Wichtigkeit der Ressourcenverantwortung und Systemstabilität kann nur dort, wo etwas eingesetzt wird, auch etwas entstehen.
Als Schwachstelle in der Vorbereitung muss dabei angemerkt sein, dass die Rückbindung an die Personalleitung des Bistums aufgrund der dort verankerten Verantwortung für die Ressourcen hätte intensiver sein können und vielleicht sogar müssen. Es geht ja, wie eingangs erwähnt, immer um den Gesamthorizont.
Kulturwandel und Organisationsentwicklung? Zumindest: Gemeinsam Kirche sein
Entwicklung kann man nicht verordnen. Aber man kann das Neue zulassen und Dinge probieren. Und warten. Ob dann etwas – vielleicht sogar Innovatives – entsteht, sich abzeichnet oder klärt, sieht man dann.
Wichtig ist, dass das lose geknüpfte Netzwerk weiter moderiert wird, bzw. eine Stelle den aktuellen Stand der Netzwerkorganisation kennt und zur Verfügung stellt. Wesentlich ist schließlich, dass die Verzahnung mit den Leitungs-, Verwaltungs- und Fachstellen hergestellt wird, damit das Neue in das Bewährte und anderweitig bereits Laufende einfließen kann. Auch muss es eine bleibende Möglichkeit geben, Interessierte aufzunehmen.
Es würde das Format der „Pioniertagung“ überzeichnen, von beginnendem Kulturwandel und vollendet gelungener Organisationsentwicklung zu sprechen. Vielleicht ein Steinchen im Mosaik. Aber zumindest ist deutlich geworden: Pastorale Praxis und pastorale Leitung müssen in einem lebendigen Austausch stehen, es muss Freiräume in der Praxis geben und Fehlerfreundlichkeit bei der Leitung, wenn sich die Organisation als Ganzes entwickeln soll.
Dieser Spirit möge unsere Kirche mehr und mehr durchziehen und die Flüche des Alltags, die Machtspielchen der Eitelkeiten und den Energieverlust durch Strukturen beleben. Für die Wahrnehmung dieses Spirits war die Netzwerkkonferenz in Münster gut und werden solche Formate in Zukunft immer wieder gut sein.
Der Text erschien ursprünglich auf www.gemeinsam-kirche-sein.de.
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