Pioniere in Kirche – Was ist das? Und wie kann es gehen?

Wenn ich mir so anschaue, welche potentiellen Schlüsselwörter sich neu in meine Aufmerksamkeit drängen, so ist im Kontext der Kirchenentwicklung in letzter Zeit öfters das Wort „Pioniere“ dabei. Nur, was sind Pioniere in Kirche? Und wie können sie in Kirche hilfreich eingesetzt werden. Hier ist mein Beitrag, wie üblich aus der Sicht der Organisationsentwicklung.

Wenn ich mich recht erinnere, so habe ich das Wort „Pioniere“ im kirchlichen Kontext zum ersten Mal irgendwo im Umfeld der ökumenischen Bewegung Kirche² wahrgenommen. Das Team war gerade von einer Studienreise aus England zurück und es entstanden erste Ideen zu „W@nder – Eine Konferenz für Pioniere“ (14./15.2.2017).

Wenig später berichtete dann der Kollege Jan-Christoph Horn über die Entstehung und Durchführung einer Pioniertagung des Bistums Münster. Ziel war es, den „pionierartig“ Engagierten im Bistum eine Plattform zur Vernetzung zu bieten.

Die Bilder im Kopf

Pioniere und Kirche? Der Gedanke war für mich neu, zumal meine Bilder im Kopf aus anderen Kontexten stammen: So denke ich bei „Pionieren“ zunächst an die entsprechende Truppengattung der Bundeswehr. Militärische Pioniere bauen Straßen, legen Brücken und sprengen Hindernisse. Sie sorgen so für die Beweglichkeit der eigenen Truppen und hemmen aber auch die Beweglichkeit des Gegners. Mein zweites Bild im Kopf sind die ersten Siedler in den USA. Nach der Entdeckung Amerikas mit großen Schiffen aus Europa kommend, machen sie sich im Planwagen auf den Weg. Sie finden Wege, bauen Eisenbahnlinien und schaffen kleine Siedlungen in der Prärie.

Mir stellte sich dann die Frage, ob und wie weit diese Bilder auch für die Nutzung des Begriffs im kirchlichen Kontext tragen? Eine kurze Umfrage unter Kollegen, was denn kirchliche Pioniere so sein könnten, brachte ein eher breiteres Spektrum an möglichen Bedeutungen hervor. Es ging von „Menschen, die Neues wagen“ und „erste Siedler in einem fremden Land“ über „Kundschafter“ und „Engagierte auf neuen Pfaden“ bis hin zu „Wegbereitern“ und „Menschen, die Kirche anders denken können“.

Für die oben schon erwähnte Pioniertagung im Bistum Münster wurde das Bild der Pioniere in Kirche folgendermaßen eingeführt:

Pioniere sind die, die vorangehen, die die Landschaft erkunden (vgl. die Kundschafter in Numeri 13), die kreative Lösungen für Hindernisse finden, die einen Weg probieren im Wissen darum, dass der in die Irre führen kann, um dann umzukehren und einen anderen Weg zu suchen, der schlussendlich anderen den Weg bereitet (vgl. Joh 3,30).1

Pioniere in der Church of England

Wenn ich es recht sehe, so schwappte der Begriff „Pionier“ von der Church of England zu uns herüber. Dort ist der oder die „pioneer minister“ eine Person, die mit kirchlicher Beauftragung gezielt über bestehende kirchliche Gemeinschaften hinausgeht, um neue Ausdrucksweisen von Kirche („Fresh Expressions“) aufzubauen.

A pioneer minister (according to the Church of England) is someone who is recognised to go beyond the existing Christian communities and aims to create new communities: fresh expressions of church.2

Pionier ist dort jemand, der die nötige Vision und die Fähigkeiten hat, ein missionarischer Unternehmer zu sein; mit Fähigkeiten sog. „Fresh Expressions“ und neue Formen der Kirche aufzubauen und zu leiten, die für eine bestimmte Kultur passend sind.

A pioneer minister is someone who has the necessary vision and gifts to be a missionary entrepreneur: with the capacity to form and lead fresh expressions and new forms of church appropriate to a particular culture.3

Spannend finde ich hier, dass es in der Church of England ein „offizielles“ kirchliches Amt ist, das nicht in eine bestehende Gemeinde gesandt wird, sondern bewusst nach „draußen“ gehen soll, um neue Gemeinden zu gründen. Es hebt sich damit wohltuend ab von einer „Versorgungsbeauftragung“ für bestehende Gemeinden.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Idee der „Fresh Expressions“ mehr und mehr auch in Deutschland Fuß fasst. So hat sich am 4.2.2017 der Verein Fresh X Netzwerk e.V. gegründet. 23 Kirchen, Freikirchen, Ausbildungsstätten und Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um neue Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens zu fördern.

Pioniere in den deutschen Kirchen?

Ich möchte an dieser Stelle keine weitere einfache und kurze Definition erstellen, so wie „Pioniere in Kirche sind …“. Ich möchte lieber thesenartig skizzieren, was diese Pioniere ausmacht (oder eben nicht ausmacht) und wie ihr Einsatz in Kirche gestaltet werden kann. Ich bleibe dabei zunächst recht eng bei meinen oben erwähnten „Bildern im Kopf“ und schaue, was diese für die Anwendung Kirche aussagen können.

Pioniere sind keine Kundschafter!

Diese These regt vermutlich erst einmal zum Widerspruch an, denn in den Aufbrüchen der Kirche wird gerne in Anlehnung an Numeri 13 von Kundschaftern gesprochen. Pioniere suchen aber kein Neuland, sondern sie besiedeln es. Auch im militärischen Sinne sind Pioniere keine Aufklärer oder Späher, sondern sie unterstützen die Mobilität der Truppe: Sie sorgen dafür, dass sich die Truppe in eine von der Führung festgelegte Richtung bewegen kann.

Aus Sicht der Organisation sollten „Kundschaften“ und „Wege bahnen“ zwei unterschiedliche Dinge sein. Dies hat einen wichtigen Grund, denn zwischen „Kundschaften“ und „Wege bahnen“ liegt der Schritt der Entscheidung, wo es hingehen soll! Die Leitung entsendet erst Pioniere ins Gelände, wenn sie dies erkundet hat und entschieden hat, in welche Richtung es gehen soll.

Auch wenn es in der pastoralen Praxis dann die gleichen Leute machen, so sind es doch zwei unterschiedliche Schritte. Kundschafter sind vor einer Entscheidung tätig, Pioniere danach.

Pastorale Pioniere brauchen einen klar definierten Auftrag und passende Ressourcen

Wenn das Gelände erkundet und die Entscheidung getroffen ist, braucht es einen klaren Auftrag für die Pioniere: Wo sollen die Pioniere hingehen? Welchen Weg sollen sie bahnen? Welche Siedlung sollen sie errichten? Was sollen sie auf dem Weg oder vor Ort tun?

Neben den klar formulierten Zielen sind die passenden Ressourcen entscheidend für den Erfolg der Pionierarbeit. Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber dennoch: Auch Pionierarbeit braucht – wie die Arbeit in Gemeinden – verfügbare Arbeitszeit. In der kirchlichen Praxis wird sich dies vermutlich als nicht so trivial erweisen, da in Zeiten knapper Kassen eine Entscheidung „für Pionierarbeit“ auch immer eine Entscheidung „gegen“ etwas anderes ist.

Die entsendeten Pioniere brauchen vermutlich auch ganz anderes „Werkzeug“, als ihre Kollegen in der Gemeindepastoral. So manche typischscherweise in kirchlicher Pastoral vorhandene Kompetenz könnte sich bei der Pionierarbeit als unbrauchbar oder gar hinderlich erweisen. Pioniere bauchen eine auf den Einsatzkontext zugeschnittene spezifische Kompetenz. Die Weiterbildung der Pioniere ist eine andere als die der „Gemeindepastoralen“.

Die Richtung der Pioniere ist die Richtung der Haupttruppe

Pioniere arbeiten niemals losgelöst von ihrer Haupttruppe, für die sie den Weg bahnen sollen. Die Richtung, in welche die Leitung die Pioniere schickt ist die Richtung, in welche auch die Haupttruppe nachrücken soll. Der Ort, wo die Pioniere tätig werden, ist auch der Ort, an den die Haupttruppe tätig werden soll. Der Einsatz der Pioniere ist daher nur sinnvoll, wenn er Teil einer Gesamtstrategie ist.

Pionierarbeit ist kein Pilotprojekt, sondern Vorbereitung des Regelbetriebs

Wenn wir in Kirche etwas Neues ausprobieren wollen, dann neigen wir dazu, ein Pilotprojekt zu machen. Das ist sicherlich ein gangbarer Weg, um neue Sachen zu entwickeln und zu erproben. Nur: Das ist eben keine Pionierarbeit. Ein Pilotprojekt endet irgendwann. Die Pionierarbeit hingegen bereitet den Regelbetrieb vor.

(Nur damit ich nicht falsch verstanden werde: Pilotprojekte können durchaus sinnvoll und hilfreich sein. Ansatz, Intention und zeitliche Gestaltung unterschieden sich nur deutlich von der Pionierarbeit.)

Die Entsendung von Pionieren als Teil der pastoralen Entwicklung einer Pfarrei oder eines Bistums setzt daher voraus, dass die Leitung in einem bestimmten Kontext oder an einem bestimmen Ort einen neuen kirchlichen Betrieb aufbauen möchte. Dies macht vielleicht auch noch einmal deutlich, warum „Kundschaften“ und „Wege bahnen“ zwei verschiedene Schritte sein müssen. Ein möglicher Ablauf eines solchen Prozesses könnte – grob skizziert – so aussehen:

  1. Aussendung der Kundschafter – z.B. sozialräumliche Orientierung, Wahrnehmung der Lebensräume, Erkennen von Notwendigkeiten für einen bestimmten Kontext
  2. Entscheidung der Leitung – Festlegen, was wo gemacht werden soll (und auch was nicht). Wo soll ein neuer kirchlicher Ort im Regelbetrieb entstehen? In welchem Kontext soll eine neue Art des Kirche-sein entstehen? Welche Ressourcen werden eingesetzt?
  3. Aussendung der Pioniere – z.B. Gestaltung spezifischer pastoraler Aktivität vor Ort. Aufbau einer ersten lokalen Gemeinde. Entwicklung neuer Formen des Kirche-seins.
  4. Übergang in Regelbetrieb: Pastoraler Regelbetrieb im jeweiligen Kontext.

Wichtig ist mir hier noch zu erwähnen, dass diese Schritte nicht zu „umfangreich“ angelegt werden sollten. Ich halte es für besser, diesen Prozess zyklisch, in kleineren Schleifen öfters zu durchlaufen, als nur einen einmaligen „großen“ Durchgang zu gestalten.

Fazit

Für die katholische Kirche in Deutschland wäre der Einsatz solcher Pioniere ein echter Paradigmenwechsel. Das Pioniertum durchbricht die klassische Denkweise von der „einen Pfarrgemeinde“. Pioniere agieren abseits und vermutlich auch losgelöst von bestehenden sogenannten „Kerngemeinden“. So gäbe es weitere Gemeinden innerhalb einer Pfarrei, die nicht am „klassischen“ kirchlichen Leben teilnehmen und dennoch „ganz Kirche“ sind.

Daher kann ich mir gut vorstellen, dass eine solche Pionierarbeit für die Kirchenentwicklung eines Bistums oder einer Pfarrei hilfreich sein kann. Allein der durch sie vermutlich eintretende Perspektivwechsel in der Kirche wäre schon hilfreich.


  1. http://kirchenentwicklung.de/pastorale-pioniere-vernetzen/ ↩︎
  2. https://www.freshexpressions.org.uk/ask/pioneerministry ↩︎
  3. https://www.freshexpressions.org.uk/pioneerministry ↩︎

Foto: pixabay.de / CC0 Public Domain


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