Aktuelle Programmwörter der Kirchenentwicklung. Hinweise aus der kirchlichen Organisationsberatung.

Ja, es ist stimmt, es gibt offensichtlichere Themen für die Kirche als Umweltreferenz, Musterverlängerung, Lernschleifen oder Lebenszyklen. Aber das sind spannende Worte für die Entwicklung von Kirche, weil sie die Hintergrundfolie hinzuziehen, auf der Entwicklung stattfindet.

Der folgende Beitrag reflektiert wiederkehrend zu hörende „Programmwörter“ der Kirchenentwicklung und möchte mit Blick auf besagte Hintergrundfolie einen nutzbaren Zugang dazu liefern. Was ist zu bedenken, wenn man mit solchen Wörtern „Kirche macht“?

Die Aufmerksamkeit dafür entstammt der Beratung von Kirchenentwicklung. Diese übernimmt eine wichtige Funktion in der Organisation von Kirche: zu intervenieren. Als in der Systemtheorie fundiertes Beratungskonzept stellt sie einen Abstand des Systems zu sich selber her. Der systemische Berater fragt nicht nach Kategorien (richtig oder falsch), sondern nach Wirkungen (nützlich oder nicht nützlich). Damit ist ein anderer Zugang zu Erkenntnis möglich. „Wahrheit“ wird nicht kausal entschieden, sondern prozessual immer wieder ergründet. Dies ermöglicht den Mitverantwortlichen in Organisationen – und die Kirche ist auch eine Organisation – sich nicht an einem Ideal abzuarbeiten, sondern durch unterschiedlich lange Wahrnehmungsschleifen Vision und Ziele (im Blick auf die Kirche kann man auch vom Gründungsauftrag sprechen), Maßnahmen zur Erreichung der Vision/Ziele, Kommunikationsmuster, Entscheidungen über Strukturen und Abläufe sowie den Einsatz von Ressourcen aufeinander zu beziehen. Dadurch kann viel über die Lebendigkeit einer Organisation gesagt werden (vgl. Peter Senge, Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation), verloren gegangene oder kontaminierte Passungen zwischen Zielen und Mustern/Maßnahmen können korrigiert werden, aber auch gelingende Passungen („Erfolge“) kommen als solche in den Blick. Die systemische Beraterintervention ist für die Akteure in der Organisation nicht immer angenehm, da sie aufklärerisch agiert. Systemische Berater haben stets mindestens eine Frage auf Lager: „Was noch?“ 

„Identität von Kirche“

Wozu ist die Kirche da? Diese Frage löst mit Recht einen theologischen Impuls aus. Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht ist sie allerdings nicht weniger interessant. Denn die sogenannte „Koppelung von System und Umwelt“ ist Systemrelevant. 

Systemtheoretisch ist weder ein System noch deren Umwelt einfach da. Ein System konstruiert sich aus Unterschieden. Was gehört dazu? Was nicht? Wie werden Orte, Personen, Inhalte, Stile … bezeichnet und dadurch ein Unterschied, salopp gesagt: zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ gemacht?

Wir in der Kirche arbeiten derzeit stark an einer aktualisierten Unterscheidung von Drinnen/Draußen. Frühere Sichtweisen sind heute Infrage gestellt. Konnte das kirchliche System in Deutschland die letzten Jahrzehnte die Umwelt noch mit einer „halbierten Moderne“ (Matthias Sellmann) in Koppelung – also in Kontakt – halten, so verlangt die sogenannte Postmoderne als Umschreibung für die Gegenwartskultur sowie die selbstgemachte Systemkrise – Missbrauch von moralisch-geistlicher und struktureller Macht – der kirchlichen Bestimmung alles ab. Die Menschen erkennen beispielsweise bei einer Bestattung den Unterschied nicht zwischen römisch-katholischem Priester und freier Predigerin. 

Im Kirchenmilieu hört man es so: Wenn wir als Kirche nicht erkennbar und glaubwürdig (… welch schönes Wort für eine religiöse Institution) sind mit unseren Angeboten, dann braucht man die Kirche nicht. Genau: Dann sind wir einfach weg. Die Debatte wird ideologisch geführt. Sie spiegelt sich in den Meinungsverschiedenheiten über das Mission Manifest, die Genderfrage etc.

Die systemische Beratung von Kirchenentwicklung kommentiert solche Debatten nicht. Aber sie speist ihre Betrachtungsweise ein. Ohne ein Mitdenken systemischer Aspekte werden zwar viele Meinungen geäußert, aber womöglich entscheidende Punkte übersehen. Vielleicht ist ein mangelnder Rückgriff auf systemische Aspekte der Organisationsentwicklung der Grund dafür, dass trotz aller akademischer Diskurse und gewissenhaft formulierten Leitlinienpapieren in diözesanen und pfarrlichen Räten nicht wirklich eine Systemveränderung – neue Unterscheidungen – in Gang kommt. 

Konstruktivistisch gesprochen sind für die Relevanz von Systemen dabei nicht Argumente sondern Wirkungen entscheidend: Erkennt die Umwelt – das Referenzsystem – die Unterscheidungen? Angenommen, es wird ein neues Katechesekonzept entschieden. Über die Annahme des Konzepts (passend, hilfreich, gut, förderlich …) – systemisch gesprochen: eine Unterscheidung, die einen Unterschied macht – entscheiden aber ganz andere: die Adressaten der Katechese, die Angesprochenen, die in den Blick genommenen. Man sagt treffend, dass „mit den Füßen abgestimmt“ wird.

Für Entwicklungsprozesse bedeutet dieses Verständnis von Veränderung immer wieder in der Testung der Passung mit den Adressaten zu sein, deren Unterscheidungen wahrzunehmen und gewissenhaft zu übertragen. Was für uns „drinnen“ einen Unterschied macht, z.B. evangelische Kirchenmitglieder als Taufpaten, macht für die Umwelt „draußen“ womöglich lange keinen (mehr). Kopplung mißlungen. Und weg sind wir. 

Man muss über die Veränderung des kirchlichen Systems keine langen Synoden halten. Sie ereignet sich einfach. Pfingstlich. Wichtig für uns in Kirche ist, diese nachzuvollziehen, anzuerkennen, zu integrieren. Dabei können Synoden hilfreich sein. Immer im Vertrauen darauf: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen, wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.“ (Alfred Delp)

Freilich geht es nicht um ein reines „Hinterherlaufen“ – das wäre kein Unterschied. Passung bedeutet nicht Anpassung, sondern da Unterschiede machen, wo diese „drinnen“ und „draußen“ (an)erkannt werden. Dies erklärt, warum Segensfeiern für Paare am Valentinstag heutzutage die erfolgreichere Ehekatechese ist. Oder warum Menschen Heiligabend zum Weihnachtslob kommen, am Weihnachtstag zur Eucharistiefeier nicht. Da wo Bedürfnisse angesprochen sind, wo die Bezeichnung der Unterscheidung zwischen Heil/Integrität und Unheil/Destabilisierung erkennbar wird, bleibt Kirche relevant. Wer wird das bestreiten? War das nicht immer schon so?

„Sozialraum- & Charismenorientierung“

Wieviel Energie wurde in den letzten Jahren in die Erkundung von Lebensmilieus und die Entdeckung von Begabungen investiert. Aber was ist dabei an Neuartigem herausgekommen? Eben. Die Erklärung ist einfach: Systeme stabilisieren sich selbst. Sie sehen nur das, was sie kennen. Sie reproduzieren nur das, was sie brauchen. Sie finden das gut, was sie selber legitimiert. Das ist eine äußerst praktische Eigenschaft. Aber für Veränderung ist sie abträglich.

Impulse für Systemveränderungen entstehen nur aus zwei Gründen: aufgrund einer Krise oder einer Perturpation (Verwirrung, Störung) von außen. Man stelle sich also vor, wie eine „klassische“ katholische Gemeinde reagiert, wenn in der Lagerhalle im Industriegebiet eine freikirchliche Gemeinde Menschen in Massen anzieht. Man muss darauf aber gar nicht warten. Lassen wir die Stadtteilinitiative unser Pfarrheim nutzen. Bauen wir unsere Kirche zu einem Multifunktionsraum um. Schon beunruhigt oder angefixt? Genau: das sind keine erlaubten, angepassten Veränderungen, da kommt Bewegung – neuartige Verabredungen – ins System. Allein von Sozialraum- und Charismenorientierung zu sprechen verändert nichts, solange man mitsagt, was damit gemeint ist.

Man denke an die aus theologischer Sicht mit Blick auf das Kirchenbild des II. Vatikanums sehr zeitverzögerte Beauftragung engagierter Laien mit einem Charisma z.B. für den Beerdigungsdienst. Manche klagen: Es ist doch seit 50 Jahren alles bereitet! Ja, aber aus systemischer Sicht entscheidet nicht der womöglich bessere Geistes- und Sachverstand über die Do’s und Don’ts in einem System, sondern die Viabilität (Gangbarkeit). Jeder schaue mal kurz auf sich selbst: Wenn wir immer alles tun würden, was richtig wäre … In der Regel tun wir das, was brauchbar ist. Und bis dato war es eben nicht brauchbar, Laien die amtliche Vollmacht zu diesem Dienst zu geben. Nun kann es so sein. Aber Obacht! Warum? Weil der Geistes- und Sachverstand durchgedrungen ist? Zumindest ist Vorsicht angeraten: Die Übergabe von Leitung an Laien ist eine Lösung des bestehenden Systems. Sie ist eine zu begrüßende Lösung gegen funktionale und emotionale Destabilisierung im System. Probleme, die „da draußen“ womöglich keiner (mehr) hat. 

Innovation“

Die Pastoral lechzt nach Innovation. Viele Dinge sollen anders, neu, besser … werden. Aber täuscht die Wahrnehmung, dass, wer nach Innovation ruft, diese eigentlich gar nicht meint, sondern – wie der Zauberlehrling in Goethes Dichtung – nur will, dass die Dinge auf das eigene Kommando hören? Die Dinge sollen nicht neu, nur angenehmer, nicht besser, nur schöner, nicht anders, nur lebendiger werden. 

Anzuerkennen ist, dass auch solche Veränderungen/Verbesserungen sinnvoll sind. Aber Verbesserungen sind etwas anderes als disruptive Innovation. Diese ist wie das Platzen eines Kokons: Auf einmal ist etwas da, wo alle sagen „Das war ja klar, das lag auf der Hand und in der Luft“, aber keiner hatte einen Plan davon, wie man drauf hätte kommen können. Ob Rollkoffer oder Smartphone – welcher Strategieworkshop hat’s erfunden? 

„Echte“ Innovation hat etwas mit einem anderen Verständnis von Lernen zu tun. Reflexiv und Iterativ, Prototypisch, Scheitern in Kauf nehmend, Systemgrenzen abgehend, Kontexterweiternd, nicht nur Fragend „Wie machen wir die Dinge richtig?“ sondern „Machen wir die richtigen Dinge?“ Wer versucht, mit einem Schraubenschlüssel einen Nagel in die Wand zu bekommen, stößt auf solche Fragen. Wer dabei nicht bereit ist, Basisannahmen des Systems zu verändern, die/der sollte sich fragen, wie sie/er es geschafft hat, anstatt zu krabbeln Laufen zu lernen oder entgegen des elterlichen Verbots durch den Wald zu gehen und eine schöne Blumenwiese auf der anderen Seite zu entdecken. Hat der Mensch sein Mensch-Sein dadurch verloren? Nein, er ist genau daran gewachsen und gereift. 

Sollte die Kirche zu einer Innovations- und Gründer-Organisation werden? Die Frage ist aus Sicht der Organisationsberatung nicht sinnvoll. Denn unsere Organisation von Kirche hat einen Reifegrad und Stabilisierungsdruck erreicht, der sich nicht einfach ablegen lässt und der auch nicht per se schlecht, der sogar für etwas gut ist. Man denke nur an die Professionalisierung von Daseinfürsorge und Notfallhilfe.  

Die beraterische Empfehlung heißt: die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken zulassen. Kann Kirche das aushalten? Dürfen pastorale Start-Ups und der klassische Gemeindetyp bürgerlicher Prägung nebeneinander existieren? Darf etwas kirchenförmiges „neben“ der heutigen Organisation entstehen? Gibt es dafür Geld und Personal – also Machtmittel? Wird das Thema „Innovation“ durch eine Fachstelle im Seelsorgeamt bedient oder durch eine Gründerwerkstatt instrumentalisiert? Oder darf der Gestaltungsspielraum in den seelsorgerischen Bezügen vor Ort „ad libitum“ größer werden, gerade auch in der Liturgie und bei Ämtern? 

Es gilt zu verstehen: Das System ist größer als die Organisation. Die Kraft der Zukunft ist nicht die Verlängerung des heute gesicherten Rahmens, sondern die Lust, die wir auf sie haben. Wer macht mit? 

„Wandel“

Es ist gerne vom notwendigen Wandel die Rede. Herauskommt aber oft: das Misslingen der Moderation von Veränderung, stattdessen die Wiederholung des immer-gleichen.

Das organisationstheoretische Modell des Lebenszyklus von Organisationen (Martin Saarinen) bringt das so zum Ausdruck: Organisationen sterben, wenn ihnen die Kraft der Vision und die diese tragende Gruppe verloren gehen. So wie Menschen sterben, wenn keine Lebenskraft mehr da ist und der Körper sich aufgibt. Doch so wie Menschen ihre Gene und damit ihre seelische und körperliche Identität durch Fortpflanzung weitertragen, so können auch Organisationen ihre Kraft und ihren Auftrag weitergeben. Aber nicht, indem eifrig an der „alten“ Struktur herumgedoktert wird, sondern indem die Kraft der Vision sich auf neue, eigene Weise herausbilden kann.

Das bedeutet vor allem: Veränderungen in Personaleinstellungen, der Besetzung von Führungspositionen und dem Geldeinsatz für bestimmte Dinge. Wandel ist nur über eine Veränderung der formalen Struktur zu initiieren (vgl. Stefan Kühl: Organisationskulturen beeinflussen). Denn „wer etwas anderes erreichen will, muss andere Dinge machen.“ (Paul Watzlawick) Das braucht Leidenschaft, Mut, Rückhalt und Verantwortungsbereitschaft. Wer Organisationsentwicklungsprozesse, auch die der Kirche über all die Jahrhunderte, analysiert, stößt auf genau diese Dinge. Wandel kann dabei sogar im formalen Rahmen der bestehenden Organisation gelingen – man denke daran, dass der Kühlschrankhersteller Samsung heute recht erfolgreich Handys herstellt.

„Partizipation statt Hierarchie“

Ein Kirchentraum lautet: Demokratisiert die Kirche. In der Tat ist es äußerst belebend für den kirchenentwicklerischen Diskurs, wenn man gläubige Frauen und Männer nicht nur als etwas versteht, was die Kirche hat und auf die Kirche regulierend und steuernd zugreifen kann, sondern wenn man davon ausgeht, dass die Gläubigen die Kirche machen (Ernst Troeltsch). Die Bewegung Maria 2.0 bringt das auf sympathische Weise zum Ausdruck: Da, wo Menschen die Kirche(ngebäude) nicht mehr füllen, bleibt die Kirche leer. 

Aber allein auf diesen Effekt zu setzen greift zu kurz. Das erreicht nur das Phänomen, nicht die Ursache, eröffnet Wege, aber kennt nicht die Schritte. Es muss mehr über das Organisationsmodell von Kirche nachgedacht werden. Und da gilt es, mentale Modelle / innere Landkarten zu dekonstruieren:

Organisationen brauchen Ordnung. Selbst ein Kollektiv braucht Regeln. Von daher lautet die Frage nicht „Ob“, sondern „Wie“ Hierarchie in Kirche darzustellen ist. Die Hierarchie ist nicht das pathologische Problem der Organisation von Kirche, sondern dass sie so wenig eingehalten wird (Stichwort „Prälatenweg“), dass zu wenig und nicht zu viel geleitet wird und dass die Hierarchie nicht funktional, sondern essentiell/substantiell verstanden wird: Ist die Kirche eine Hierarchie oder hat sie eine? Im Blick auf andere Organisationen lässt sich zeigen, dass diese viel hierarchischer sind, die „heilige Ursprungsordnung“ aber modellieren können, wenn das den Unternehmenszielen nutzt. 

Umgekehrt ist Partizipation nicht das Gegenteil von Hierarchie. Es gilt, das Schlagwort zu entmystifizieren: Partizipation bedeutet Kommunikation relevanter Partner auf einem Regelweg, nicht die emotionale Pädagogisierung der Massen.

Zentrales Ordnungsprinzip einer Organisation ist schlichtweg die Verteilung von Macht. Dieses Thema muss diskutiert werden. Denn man kann die Teilhabe an Leitungsämtern verändern – aber verändert sich dadurch das Machtsystem? Meint „Demokratisierung von Kirche“ Laien Anteil am Absolutismus zu geben? Ist das nicht Klerikalismus 2.0?  

Eine beraterische Intervention lautet: Verteilt die Macht nicht linear sondern kollegial und kontextualisiert (vgl. Bernd Oestereich: Das kollegial geführte Unternehmen). Lasst die Verantwortung da, wo sie hingehört. Die wenigsten Menschen wollen Leitung um der Leitung willen. Sie übernehmen Verantwortung für etwas, das sie angeht. Und sie wollen in dieser Verantwortung Selbstständigkeit und sind bereit, zu haften. Solch Kollegialität ist der kirchlichen Tradition keineswegs fremd, man denke an die Orden. 

Für die Organisation von Kirche die Hierarchie zu nutzen anstatt sie zu verdammen, Leitung als Übernahme von Verantwortung zu verstehen, Gremien kollegial zu gestalten zur Koordinierung und Steuerung – das sind nicht nur gravierende Veränderungen im Organisationsaufbau, sondern massive Veränderungen in der Haltung (vgl. Frederic Laloux: Reinventing Organisations). 

Aber die Vorfreude auf die als Teil der Normalkultur erlebte Frau aus dem vom Bischof beauftragten Leitungsteam einer Pfarrei in der Pfarrerkonferenz des Bistums steigt.

„Prioritäten setzen“

Den Verantwortlichen in der Kirche fällt es schwer zu entscheiden, was aufgrund von vielen Aufgaben und wenigen Ressourcen hintenangestellt wird. Es gibt immer wieder Projekte, in denen herausgearbeitet wird, was eigentlich allen klar ist: So geht es nicht weiter. Aber wie? 

Aus systemischer Perspektive werden die Referenzpunkte kirchlichen Handelns zu wenig bezeichnet. Es kann nicht entschieden werden, weil zu wenige Unterscheidungen getroffen sind: Auf welche Weise nimmt die Kirche ihren Auftrag in unserer Zeit und Gesellschaft wahr? Breit angelegte Prozesse der Prioritätensetzung kaschieren die Ahnungslosigkeit darüber und wollen unpopuläre Entscheidungen popularisieren. Der Punkt ist aber doch: Entscheiden heißt, Möglichkeiten ausschließen. Und alles was nicht wichtig ist, ist unwichtig.

Berater*innen solcher Prozesse sind hier aufgerufen, ihre Rolle ausfüllen: Beobachtungen anbieten, Hypothesen ins Gespräch bringen, durch Interventionen verlebendigen. Angenommen, die Entscheidungsunfähigkeit liegt daran, dass zu wenig über Motive und Emotionen gesprochen wird – worüber müsste dann gesprochen werden? Hypothese: über Schmerz, über Kränkung, über Angst, über das Über-Ich-Ideal der Kirche. Womöglich macht das den Unterschied.

„Pfarrei & Gemeinde“

„Sucht neue Worte das Wort zu verkünden, neue Gedanken es auszudenken“ heißt es in einem NGL-Schlager. Die nicht nur neuen, sondern neuartigen Differenzierungen kirchlicher Präsenz in den lokalen und sozialräumlichen Bezügen haben das Zeug dazu.

Sie nehmen einen Ausgangspunkt darin, dass die Identifikation als Gemeindemitglied nicht mehr übereinstimmend ist mit der im Sozialraum lebenden Bevölkerung: „Gehören Sie auch zur Gemeinde XY?“ – „Nein, ich lebe hier.“ Hinzu kommen punktuell divergierende Grade des Zugehörigkeitsgefühls zur Institution Kirche, z.B. vor, während und nach der Firmvorbereitung oder einer biographischen Lebenswende. Auch wird die „typische“ Gemeindepastoral zunehmend als eine Kategorie unter vielen (Krankenhaus, Schule, Beratungsstelle etc.) in der Pfarrei verstanden. 

Das Flächenprinzip pastoraler Präsenz zu erhalten, allerdings ihre Funktion neu zu definieren und Pfarrei entsprechend zu organisieren ist ein beeindruckendes Entwicklungsereignis. Man denke nur an den reformulierten Auftrag lokaler Gremien der Verantwortung in einer solch ökosystemischen Pfarrei oder an die Rollenveränderung von seelsorgerischen Amtspersonen: statt eines dauerhaften „Pastor Bonus“ braucht es „priesterliche Mitmenschen“ mit Kontakt zur menschlichen Existenz.

Gut, wer in solchen Prozessen fähige Berater*innen hat. 

Der Text erschien zuerst im „Pastoralblatt“ (Ausgabe 9/2019).

Foto (c) Jan-Christoph Horn


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