Bei Kirchenentwicklung geht es um Entwicklung, um Lernen zweiter Ordnung. Wenn Kirchengemeinden diesen Schritt wagen, bedeutet es für sie einen Perspektiv- und Systemwechsel zu vollziehen. In seinem Beitrag „Nur Mut: Von Pfaden abweichen und den Systemwechsel vorbereiten“ für das Magazin futur2 ermutigt Dr. Valentin Dessoy diesen Weg der Veränderung einzuschlagen.
Doch was können engagierte Seelsorgende und Ehrenamtliche in ihrer Pfarrei tun, wenn dieser Mut in der Organisation noch fehlt? Ihnen empfehle ich einen Blick in den Bereich des Qualitätsmanagements. Die Methoden und Fragen des Qualitätsmanagement werden dazu beitragen, dass nicht alles beim Alten bleibt und die „Kundenzufriedenheit“ positiv beeinflusst wird.
Ein Modell des Qualitätsmanagements, das auch die kirchliche Besonderheit des Kundenbegriffes (vgl. hierzu „Qualität in der Pfarrei„) abbilden kann, ist aus meiner Sicht das Modell der European Foundation of Quality Management (EFQM).
Mit Hilfe des EFQM-Models lassen sich alle relevanten Qualitätsaspekte einer Organisation abbilden. Das Modell umfasst sowohl organisationsinterne Qualitätsmerkmale, wie auch externe Kundenerwartungen. Prof. Dr. Michael Fischer hat die neun Bereiche des EFQM-Modells auf den pastoralen Kontext übertragen und leistet mit dieser Übertagung und Angleichung an eine pastorale Begrifflichkeit eine Hilfestellung für die Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems in Pfarreien.
Das Modell betrachtet die Zufriedenheit der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter ebenso, wie Ziele und die Qualität von Angeboten. Zudem schließt es die Adressaten der pastoralen Angebote mit ein und ermöglicht so Lernen und Weiterentwicklung der Organisation.
Vor der Qualitätsentwicklung steht die Bestandsaufnahme zu den neun EFQM-Kriterien. Hierbei können Fragebögen zur Selbstbewertung ebenso dienen wie auch Befragungen, Workshops und Feedback. In den folgenden Abschnitten werden die Teilkriterien auf die pastorale Ebene einer Pfarrei angepasst und mögliche Reflexionsfragen für eine Bestandsaufnahme formuliert. Die Grundannahmen zu jedem Teilkriterium orientieren sich an den Erklärungen von Michael Fischer2, die Reflexionsfragen sind von mir anhand der EFQM-Teilkriterien entwickelt worden.
Leitungsverantwortung (Führung)
Die Leitungsverantwortlichen entwickeln eine Vision, definieren und überprüfen Arbeitsabläufe und motivieren und untersützen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter.
- Ist eine gemeinsame Vision vorhanden und kommuniziert?
- Sind die Entscheidungskompetenzen innerhalb der Pfarrei geklärt?
- Sind Aufgaben und Arbeitsfelder abgesprochen und Ansprechpartner benannt?
- Fördert Leitung die Mitarbeiter und gibt es eine Feedback- und Dankeskultur?
Ziele und Pastoralpläne (Strategie)
Die Pfarrei kennt die Erwartungen der Interessensgruppen (z.B. durch Befragungen oder die Sinus-Milieu-Studie) und hat eine Strategie – unter Beachtung des Anspruches des Evangeliums – entwickelt, diese zu erfüllen. Die Strategie ist in Leitlinien und Zielen formuliert und kommuniziert.
- Gibt es eine Sozialraumanalyse der Pfarrei?
- Liegen die Sinus-Milieu-Daten oder andere Kenngrößen vor?
- Gibt es eine Strategie, den Erwartungen der Gemeindemitglieder gerecht zu werden?
- Sind formulierte Ziele für pastorales Handeln vorhanden und sind diese überprüfbar?
Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter (Mitarbeitende)
Die Mitarbeiter tragen zur Umsetzung der Ziele bei, sind ausreichend geschult und es herrscht eine Kultur des Vertrauens. Die Mitarbeiter sind in Entscheidungsprozesse eingebunden und handeln selbstständig in ihren Aufgabengebieten. Kommunikationswege untereinander sind abgesprochen und es gibt ein Klima der Wertschätzung.
- Sind die Rollen und Kompetenzen der hauptamtlichen Mitarbeiter geklärt?
- Sind ehrenamtliche Mitarbeiter (z.B. über Sachausschüsse, Pfarreirat und Pfarrversammlung) an Entscheidungen beteiligt?
- Können Ehrenamtliche eigenverantwortlich in ihren Aufgabenfeldern Entscheidungen treffen?
- Verfügen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter über eigene Finanzressourcen, die sie nach eigenem Ermessen einsetzen können?
- Haben ehrenamtliche Mitarbeiter freien Zugang zu Räumen der Pfarrei (z.B. eigenen Pfarrheimschlüssel)?
- Ist geklärt, wer bei Entscheidungen eingebunden, gefragt oder informiert werden muss?
Gemeinsame Kräfte (Partnerschaften und Ressourcen)
Die Gebäude und Finanzressourcen werden zur Unterstützung der Strategie eingesetzt, Partnern und Lieferanten begegnet die Pfarrei auf Augenhöhe und in gegenseitiger Wertschätzung. Informationen und Wissen werden zusammengetragen und stehen allen Mitarbeitern zur Verfügung.
- Befinden sich Kirchen und Pfarrheime baulich in einem guten Zustand?
- Befinden sich Kirchen und Pfarrheim in einem Zustand, welcher der Nutzung und Strategie angemessen ist?
- Rechtfertig die Auslastung der Einrichtungen ihren Unterhalt?
- Können Kooperationspartner die Räumlichkeiten der Pfarrei nutzen?
- Berücksichtigt die Pfarrei bei Anschaffungen Sozial- und Umweltstandards?
- Sind die hauptamtlichen Seelsorger und Pfarrbüros in der Lage, Informationen möglichst aller Kirchorte und Gruppierungen der Pfarrei zu bündeln und darüber Auskunft zu geben?
Pastorale Arbeit und Angebote (Prozesse)
Die pastorale Arbeit der Pfarrei geschieht planvoll, wird sorgfältig durchgeführt und evaluiert. Die vielfältigen Aktivitäten sind untereinander abgestimmt, orientieren sich an der Sendung der Kirche und sind situations- und adressatengerecht.
- Haben Mitarbeiter Zugang zu einem gemeinsamen Veranstaltungskalender?
- Werden Aktivitäten im Team und mit den Adressaten reflektiert (Feedbackkultur)?
- Gibt es genügend Ressourcen zur Vor- und Nachbereitung von Aktivitäten?
- Gibt es ein geregeltes Vorgehen zur Abstimmung pastoraler Aktivitäten (z.B. regelmäßiges Dienstgespräch, Jahresplanung aller Aktivitäten)?
- Werden adressatengerechte Angebote effektiv in der Zielgruppe beworben?
Zufriedenheit mit der pastoralen Arbeit (Kundenbezogene Ergebnisse)
Die pastoralen Angebote richten sich an die Menschen im Umfeld der Pfarrei. Es ist wichtig eine Rückmeldung aus diesem Umfeld über die Zufriedenheit mit den Angeboten zu erzielen.
- Werden Adressaten der pastoralen Aktivitäten systematisch in die Evaluation eingebunden (z.B. Fragebögen)?
- Finden geplante und angekündigte Aktivitäten zuverlässig statt?
- Gibt es ein Beschwerdemanagement oder eine transparente Regelung, wer bei Unzufriedenheit angesprochen wird?
- Werden Veranstaltungen systematisch ausgewertet und Teilnehmer befragt?
Zufriedenheit und Engagement der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter (Mitarbeiterbezogene Ergebnisse)
Die pastoralen Angebote werden von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern angeboten und durchgeführt. Ihre Motivation und Zufriedenheit hat Auswirkungen auf die Qualität der Angebote.
- Gibt es eine hohe Fluktuation von Mitarbeitern (ggf. in bestimmten Bereichen)?
- Haben die Mitarbeiter die vereinbarten Ziele erreicht?
- Werden Mitarbeiter nach ihrer Zufriedenheit befragt?
- Haben Mitarbeiter Einfluss auf die Planung pastoraler Angebote?
- Gibt es Angebote, um die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter zu stärken?
- Werden den Mitarbeitenden Fort- und Weiterbildungen angeboten?
- Haben Mitarbeiter Aufstiegsmöglichkeiten und herrscht Chancengleichheit?
- Ist die Pfarrei attraktiv für neue Mitarbeiter?
Lebens- und Sozialraumorientierung (Stakeholderbezogene Ergebnisse)
Pfarreien sind in ein gesellschaftliches und politisches Umfeld eingebunden und stellen sich die Frage, welchen Dienst sie für die Gesellschaft insgesamt und für das konkrete kommunale Umfeld leisten.
- Haben die Angebote der Pfarrei eine signifikante Auswirkung auf das Umfeld?
- Wird die Pfarrei als gesellschaftlicher Akteur von Politik, Gewerbe, Zivilgesellschaft wahrgenommen und in ihre Prozesse eingebunden?
- Welches Image hat die Pfarrei im konkreten Umfeld?
Fähigkeit zur personalen und organisationalen Selbstreflexion (Schlüsselergebnisse)
Die Ergebnisse pastoraler Aktivitäten sind nur bedingt quantifizierbar und es braucht andere Instrumente zur Erfolgskontrolle. Hierbei ist es wichtig, personale und organisationale Anteile einer pastoralen Aktivität zu reflektieren und Optionen zur Verbesserung der Qualität zu sichern.
- Gibt es Indikatoren, an denen die Pfarrei „Erfolg“ bestimmt? Sind diese transparent?
- Wird über die „Rentabilität“ von Maßnahmen gesprochen?
- Werden pastorale Aktivitäten zusammen mit der Leitung ausgewertet?
- Erfolgt nach einer Aktivität eine Selbstevaluation und werden Erkenntnisse daraus gesichert und weitergegeben?
Alle Fragestellungen in den einzelnen Teilkriterien ermöglichen eine Entwicklung, die zu einer höheren Qualitätswahrnehmung und somit zu einer höheren Zufriedenheit beitragen können. Je nachdem, wie intensiv sich eine Organisation mit den einzelnen Teilkriterien befasst und diese immer wieder reflektiert und optimiert, wird die Gesamtqualität gesteigert.
Die Hauptaufgabe eines solchen Qualitätsmanagementsystems ist „die Schaffung und Sicherstellung der Qualitätsfähigkeit“3 der Pfarrei. Hierzu kann ein Qualitätsbeauftragter von der Leitung ernannt werden, der die Planung, Implementierung und Kontrolle des Qualitätsmanagements übernimmt. In einer Pfarrei kann dieses z.B. durch einen haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter oder eine Steuerungsgruppe erfolgen.
1 vgl. Fischer, M. Pastoral braucht Qualität. Pastorales Handeln auf dem Qualitätsprüfstand. In: Unsere Seelsorge, 2009 (Heft Dezember). Seite 5 f.
2 vgl. Fischer, M. Pastoral braucht Qualität. Pastorales Handeln auf dem Qualitätsprüfstand. In: Unsere Seelsorge, 2009 (Heft Dezember). Seite 5 und Fischer, M. Die Qualität der Seelsorge. Können Gemeinden von Qualitätskonzepten lernen? In: Lebendige Seelsorge. 2011 (Heft 4). Seite 300 f.
3 Bruhn, M. Qualitätsmanagement für Nonprofit-Organisationen. Grundlagen – Planung – Umsetzung – Kontrolle. (2013). Seite 58
Foto: © Sebastian Reimann