Alles Beratung, oder was? – Rollenklarheit als Herausforderung in der Praxis

Ich werde als Gemeindeberater häufiger angefragt, Sitzungen zu moderieren. Gelegentlich fällt es mir dann schwer, meine Rolle klar zu haben. Wenn es gut läuft, kläre ich die Rolle im Vorbereitungsgespräch. Wenn nicht, dann muss ich das in der Sitzung selbst tun, was eher ungünstig ist.

Vor einiger Zeit war mal wieder eine solche Sitzung. Es ging um Strukturfragen innerhalb des Bistums. Ich erteilte das Rederecht, visualisierte benannte Kernaspekte, fasste zusammen und achtete auf die Zeit. Am Ende der Sitzung drehte sich der Auftraggeber zu mir um und sagte: „Na, Herr Moderator, sie haben doch so gut zugehört. Was sollen wir denn jetzt damit machen?“

Erwischt! An dieser Stelle bin ich verführbar, denn natürlich habe ich eine Meinung zum diskutierten Inhalt der Sitzung und sehr gerne würde ich einen schlauen Ratschlag abgeben. Aber Stopp! Ich habe einen Auftrag als Moderator angenommen und bin weder Teilnehmer der Sitzung noch angefragt als Berater. Mit dem Veröffentlichen einer inhaltlichen Meinung würde ich meine Rolle als Moderator verlassen. Hier gilt: bleibe klar in der eigenen Rolle! Und weil mich diese Rollen(un)klarheit häufiger beschäftigt, möchte ich gerne aus meiner subjektiven Sicht die Kernaspekte der verschiedenen Rollen aufzeigen.

Moderation ist für mich ein Instrument, welches Teams oder Gruppen in ihrer Kommunikation unterstützt und sie begleitet. Dazu zählt es, nachzufragen, um Inhalte verständlich(er) zu machen, Verbindungen zwischen Redebeiträgen zu verdeutlichen, Dinge ggf. zu visualisieren, alle Teilnehmenden zu Wort kommen zu lassen, auf die Zeit zu achten, Prozessfragen zu klären (z.B. Wo steht die Gruppe jetzt? Wie wollen Sie weiter verfahren? Was wäre jetzt hilfreich?). Manchmal können auch mit einer Moderation auftauchende Konflikte geklärt werden. Das Ziel ist es, die Gruppe arbeitsfähig zu halten, so dass sie selbst zu einem Ergebnis kommt.

Beratung (aus meiner systemischen Sicht heraus) hat für mich eine andere Zielsetzung. Auch Beratung ist „allparteilich“ (wie die Moderation), macht sich also keine Position einzelner Teilnehmenden zu Eigen (oder macht sich vielmehr alle Positionen gleich zu Eigen). Aber Beratung steigt stärker ein: sie stößt Dinge an, stellt Hypothesen auf und stellt diese dem Klientensystem zur Verfügung. Diese Interventionen dienen u.a. dazu, Irritationen zu nutzen, um die Teilnehmenden in einen Reflexionsprozess zu bringen. Hier liegt wohl auch der große Unterschied: Beratung nutzt andere Mittel, um einen Prozess anzustoßen. Sie darf intervenieren und ist somit „eingreifender“ als die Moderation. Das Klientensystem entscheidet, was davon es annimmt.

Es ist hilfreich, diese beiden „Stoßrichtungen“ klar auseinander zu halten und je nach Auftrag und Kontrakt ihre Stärken auszuspielen.

In meiner Tätigkeit als Gemeindeberater ist mir aber noch eine weitere Unterscheidung wichtig. Vor einigen Wochen war ich auf einer überdiözesanen Weiterbildung zum Thema „Kirche der Beteiligung – Lokale Kirchenentwicklung“. Wir haben fünf Tage lang mit dem philippinischen Team des Pastoralzentrums Bukal ng Tipan zusammen an Bildung und Liturgie gearbeitet. Im Rahmen dieses Trainings kam die Frage auf: wer gibt eigentlich den Auftrag für Kirchenentwicklung? Und haben wir eigentlich einen Auftrag in diesem Sinne für das und vom Erzbistum Hamburg? Aus diesen Fragen ergaben sich zwei neue Rollenverständnisse:

Organisationsentwicklung (OE) bezieht sich auf die Organisation und hat damit einen umfassenderen Fokus. Nach meinem Verständnis ist OE immer auf eine mittel- oder langfristige Veränderung der Organisationskultur gerichtet und damit auch strategischer Prozess mit einem bestimmten Ziel. Hier liegt der Unterschied zu Moderation und Beratung: beide haben auch Ziele, die aber sehr auf den Prozess gerichtet sind. OE hingegen hat häufig auch Ziele, die inhaltliche Vorgaben machen. Daher ist es gerade in OE-Anfragen wichtig, genau zu schauen, wer in die Vereinbarung (in den Kontrakt) mit einbezogen werden muss. Ein Beispiel: die Gemeindeberatung/OE im Erzbistum Hamburg unterstützt die pastoralen Räume in der zweiten Phase der Entwicklung auf ihrem Weg zum Pastoralkonzept. Konkret bietet sie Unterstützung in der Sozialräumlichen Orientierung, beim Finden einer geteilten Vision und beim Schreiben des Pastoralkonzepts. Diese Dinge gehören in den Bereich der Organisationsentwicklung. Es findet keine Moderation statt (so dass letztlich egal ist, was inhaltlich dabei herauskommt, wenn nur die Gruppe damit zufrieden ist) und auch keine klassische Beratung (die ja dann ergebnisoffen sein müsste und auch zur Entscheidung kommen könnte, aus dem Prozess der pastoralen Räume auszusteigen). OE gibt eine Entwicklungsrichtung vor, die von der Bistumsleitung verantwortet wird. Wir sind im Bereich der Organisationsentwicklung auch sehr partizipativ unterwegs, aber keinesfalls vollständig ergebnisoffen, denn unser Auftrag ist es, die Organisation in eine bestimmte Richtung zu entwickeln.

Kirchenentwicklung (KE) als letzter Aspekt dieses Artikels könnte synonym verstanden werden mit Organisationsentwicklung. Nach meinem Verständnis geht Kirchenentwicklung aber noch über OE hinaus. Es geht zwar auch um die Organisation Kirche (und gerade in diesem Blog finden Sie viele OE-Themen), aber noch mehr um die Weiterentwicklung, wie Kirche gelebt werden kann, wie also das Volk Gottes miteinander auf dem Weg sein und seinen Glauben leben kann. Hier wird der organisationale Rahmen gleichsam durch die theologische Dimension erweitert, denn viele Fragen aus dem Bereich KE betreffen gar nicht mehr primär die Organisation Kirche, sondern die Umsetzung von Glaubensfragen.

Am Ende der besagten Sitzung konnte ich auf die Frage nach einem Ratschlag glücklicherweise deutlich machen, dass ich inhaltlich auf diese Frage nicht antworten könne, weil ich ja ausschließlich dem Prozess verantwortlich sei. Und dass wir in einer weiteren Sitzung gerne nochmal die Fragen und Themen aufnehmen könnten, damit die Gruppe zu einer für sie passenden Lösung kommen kann.


Foto © Steffen Debus

Nachtrag: Wir haben in der Redaktion über keinen anderen Artikel bislang kontroverser diskutiert als über diesen. Sehr interessant, denn es geht wohl um grundlegende Fragen, wie wir uns als professionelle Kirchenentwickler selbst verstehen. Wie sehen Sie das?

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