Waren Affen auf der Arche?

Organisationstheoretische Gedanken zum Sinn von Hierarchie in der Kirche, angeregt durch ein Buch von Stefan Kühl.

Der Organisationssoziologe Stefan Kühl (Bielefeld) hat mehrfach zu postmodernen Organisationsformen publiziert. Er schaut dabei auf die blinden Flecke des Blicks auf Organisationen, die von transparenten und offenen Hierarchien träumen. Auch sein Buch „Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchie“ (Campus-Verlag) fühlt dem auf den Zahn. Die Lektüre des Buches ist guter Anlass, auch einmal pointiert zu den Träumen gemeindlicher Organisationsformen Stellung zu nehmen.

In vielen Pastoralplänen und Teambuildingprozessen ist von Offenheit, Transparenz, Networking, Partizipation, gemeinsamer Entscheidungsfindung, Charismenorientierung und Partnerschaft die Rede. Gottlob für die Beraterszene überstehen solche Postulate selten die Abfahrt aus dem Tagungshaus. Aber die Motivationseinbußen und Energieverluste bei der Aufarbeitung der nächsten Krise und der nicht anderen, aber bestimmt schöneren Formulierung der genannten Leitprinzipien sind enorm. Vor allem: Sie helfen nicht, dass die Organisation zu ihrer eigentlichen Aufgabe – und damit zu ihrer eigentlichen Leistung und Daseinsberechtigung – kommt.

Stefan Kühl nennt das den Unterschied zwischen „Schauseite“ und „Formaler- und Informaler Seite“. Also dem Prospekt und dem inneren Betrieb. Ja, es ist wie bei einer Orgel: Im Orgelprospekt hängen nicht die wichtigen Pfeifen, aber die schönen und stattlichen. Die eigentliche Arbeit geschieht in den Aufbauten dahinter. Was ist aber dran, am Wunsch nach einer möglichst hierarchiefreien Kirche? Der Wunsch nach einem offenen Umgang mit Hierarchie ist kirchengeschichtlich verständlich, er ist theologisch sinnvoll – aber ist er organisationstheoretisch einlösbar?

„Flache Hierarchien helfen nicht, dass Organisationen zu ihrer eigentlichen Aufgabe kommen.“

Im kleinen 1×1 der Organisationslehre steht ziemlich zu Anfang die Erkenntnis, dass die formale Strukturiertheit Organisationen von Freundeskreisen, Warteschlangen oder Trinkgelagen unterscheidet (vgl. Seite 27). Theorien postmoderner Organisationsformen (Kühl spricht von postbürokratischen Organisationen) geben nun das Versprechen ab, Organisationen auch in losen Koppelungen wie z.B. gestufter Identität oder Dezentralität zu beschreiben und Entscheidungen auch ohne funktionale Differenzierungen treffen zu können.

Man stelle sich also ein Pastoralteam vor, in dem jeder Freigeist sein darf, sein Charisma auf eigene Weise ausleben und Regelungen frei interpretiert. Soll es ja geben. Die Beobachtung ist, dass das Team mehr Zeit und Energie braucht, um in diese epistemisch gewollte lose Koppelung eine Ordnung zu bringen, die aber nicht einschränkt. Stefan Kühl attestiert solchen Organisationsformen „ein mehr an Strukturen und Kommunikationen“ (Seite 64). Da schießen dann Qualitätszirkel und Projektgruppen aus dem Boden (Seite 67) – aber nicht, um die Organisation zu echter Entwicklung und Innovation zu bringen, sondern um dem entstehenden Chaos irgendwie Herr zu werden, ohne die Grundsatzfrage zu stellen: „Woran hakt es eigentlich wirklich?“

Seine These: Die Gestalt postbürokratischer Organisationen schafft keine reale neue Wirklichkeit mit dem Kaufpreis anderweitig zu bewältigender Komplexität, sondern ist nur ein Zerrbild dessen, dass Organisationen nun mal bestimmte Kriterien haben und zwar die Bezeichnungen, aber nicht die Bedingungen dafür austauschen können.

Der systemische Organisationsforscher Kühl schreibt davon, dass es Organisationen jeder Couleur – also sowohl streng tayloristische als auch Human-Relations-Ansätze –  kennzeichnet, bestimmte Unsicherheitszonen (Kontingenzen) zu kontrollieren: die Umweltbeziehungen, die internen Kommunikationsflüsse und das Expertentum (Seite 99f). Eine Organisation, die das nicht tut, ist keine Organisation – oder zumindest nicht mehr lange. Organismen in solcherart unreferentiellen Organisationen sind dann wie die titelgebenden Affen im Zoo. Tierfreundlicher sowie fachlicher ausgedrückt: Organisationen verlieren ohne formale und gesicherte Strukturiertheit ihre Identität (die notwendige Bestimmung der Außengrenze), ihre Organisationspolitik (die Grundordnung) und verkomplizieren sich durch Komplexität.

„Kühl plädiert nicht für straffe Linienorganisation, sondern für sinnvolle, ja, gesunde Hierarchie.“

Nun sind die teilweise süffisant vorgetragenen Analysen Kühls nicht das Garaus jedweder Organisationsentwicklung im Sinne von Kollegialität, Charismenorientierung oder Partizipation. Aber sie legen den Finger in die Wunde, die aus der Erfahrung entstanden ist, dass es nicht einfach ist zu sagen, man würde sich schon einigen oder allen wäre doch klar, worüber zu sprechen wäre. Kühl plädiert nicht für straffe Linienorganisation sondern für sinnvolle, ja, gesunde Hierarchie. Er beschreibt auch nicht die Unmöglichkeit flacher Hierarchie, sondern nur deren Tücken.

Vielleicht kann man es so sagen: Die Hierarchie – befreit auch von allem innerkirchlichen Angstbesatz – ist eine Ordnungsrelation. Sie schafft nicht „Ordo“, sie schafft Ordnung. Ordnung, damit sich die Organisation im oben benannten Sinne entwickeln kann. Das ist das Kriterium und damit auch der Ansatzpunkt berechtigter Kritik an fehlgeleiteten, verkorksten hierarchischen Strukturen.

Es ist dann nicht der Zeitgeist, sondern Töricht, in Gemeindeorganisationen und Teams auf Hierarchie, auf Ordnung zur Bewältigung der ständig virulenten, weil als System stetig im Außenkontakt sich befindenden Identitätsschaffungs-, Komplexitätsbewältigungs- und Kommunikationsaufgaben zu verzichten. Was bleibt von einer „flachen Hierarchie“, wenn man die Hierarchie eigentlich ganz rausschreiben möchte? Genau. Stefan Kühl schreibt zum Schluss seines Buches: „Die Veränderungen in Organisationen bewegen sich – bei aller von Managern und Beratern inszenierten Dramatik – im Rahmen einer von fast allen Akteuren akzeptieren hierarchischen Grundordnung.“ (Seite 157)

Für mich bedeutet das: Das Kampffeld Anti-Hierarchie betrete ich nicht. Wohl aber das Arbeitsfeld „Wir brauchen eine Hierarchie, die der Organisation hilft, sie stärkt, die Sachen klärt, Entwicklung ermöglicht“. Da ist genug zu tun. Vielleicht kommen diese Themen ja besser in den Blick, wenn man die Hierarchie in Kirche nicht aus dem Weg räumt oder ihr aus dem Weg geht, sondern mit ihr umgeht.

(Beitragsfoto: „Gemüseanbau auf der Insel Reichenau“, © Jan-Christoph Horn)


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