„Lieber Steffen, welche Frage beschäftigt dich aktuell?“ Die Nachricht kam über Twitter. Von Frida aus dem Kirche²-Büro. Ob ich nicht Lust hätte, etwas dazu zu schreiben? Hab ich.
Ich arbeite für die katholische Kirche und in meinen beiden Arbeitsfeldern „kirchliche Organisationsberatung“ und „Jugendpastoral“ bin ich mit Fragen nach der Zukunft(sfähigkeit) von Kirche beschäftigt.
Wir als Kirchen(n) befinden uns seit Jahren in einem Wandel, wobei Wandel sehr freundlich formuliert ist. Ein Kollege nannte es eine „zerstörende Selbsthäutung“. Das System verändert sich von einer Volkskirche („Kirchenzugehörigkeit aus Tradition“) hin zu einem Entscheidungschristentum („Glaube als Option“). Menschen werden zukünftig nicht mehr aus Tradition einer Kirche angehören, sondern sich dafür entscheiden, Christ*in zu werden, weil es ihnen am Herzen liegt, weil es ihnen im Leben hilft, weil sie das wollen. Und aus keinem anderen Grund mehr. Und es wird eine zweite Gruppe von Menschen geben, die von Kirche angesprochen werden, und dann ihr Bekenntnis auf die Kirche hin finden müssen.
Die Kirche(n) werden sich dadurch sowohl organisatorisch als auch theologisch so grundlegend verändern (müssen). Welche Form(en) das dann haben wird und ob Kirche für viele oder für wenige attraktiv ist, steht abschließend noch nicht fest. Aber klar ist: Das ist ein so grundlegender Paradigmenwechsel, dass wir bislang erst ansatzweise verstanden haben, was das für die Organisation und Gestalt von Kirche bedeutet.
Wenn ich diesen Paradigmenwechsel ernst nehme, kommen mir viele Fragen in den Sinn:
- Was ist der Kern des Christentums, aus dem wir unsere Sendung leben und mit dem wir auf Menschen zugehen können?
- Wie kommen wir vor Ort zu einer geteilten Vision einer vielfältigen Kirche, die uns Kraft gibt, als Christ*innen die plurale Welt zu akzeptieren und darin zu handeln?
- Wie kommen wir dazu, den gerade stattfindenden Macht-, Einfluss- und Kontrollverlust als Chance zu begreifen?
- Wie kommen wir mehr ins Experimentieren, um herauszufinden, wie Kirche unter neuen Bedingungen gestaltet werden kann?
- Wie können wir neue Gemeinden gründen, um in vielfältigerer Art und Weise Kirche zu sein und Menschen mit dem anzusprechen, was ihnen gut tut?
- Wie können wir ökumenisch besser ins gemeinsame Handeln kommen, um die Chancen der ökumenischen Zusammenarbeit besser zu nutzen?
Die Herausforderungen dieser Fragen: Die Antworten müssen für jeden Kontext und für jede Situation neu gefunden und erfunden werden. Es gibt keine allgemeingültigen Antworten darauf.
Aus meiner Sicht gibt es Merkmale einer zukunftsfähigen Kirche, die eine Entwicklungsrichtung vorgeben können.
- Wir werden zukünftig eine Kirche sein, die sich mehr auf ihre Wurzeln besinnt und zu diesen Wurzeln auch sprachfähig ist. Jesus hat zur Umkehr und Nachfolge aufgerufen und eine Gemeinschaft gestiftet. Die Kirchengründer Petrus und Paulus mit ihren bipolaren, aber dadurch dynamisierenden Verständnis davon, weisen in zwei Richtungen:
- Kontemplation: wir werden uns zukünftig mehr auf Jesus Christus ausrichten, eine authentische Spiritualität finden und Gottes Geist mehr zutrauen.
- Aktion: als Christ*innen werden wir zukünftig besser wissen, warum wir Christ*innen sind. Wir werden unseren Auftrag für die Welt ernster nehmen und ihn visionär leben. Und diese Lebensform wird missional nach außen wirken.
- Wir werden zukünftig eine Kirche sein, die mehr von den Menschen, von den Nutzer*innen her denkt. Wir werden mehr fragen, was Menschen brauchen, welche Ästhetik ihnen angenehm ist, welche Formate sie besuchen mögen. Und wir und sie werden dadurch eine Kirche der Beteiligung, eine partizipative Kirche: wir gestalten unseren Rahmen so, dass Menschen Lust bekommen, sich zu engagieren und sich einzubringen. Aus beraterischer Sicht formuliert: wir aktualisieren die System-Umwelt-Kopplung und werden für das Leben der Menschen relevant. In dieser Kirche wird nichts mehr mit Macht von oben verordnet, sondern die Eigenverantwortung der Menschen wird gestärkt und unterstützt werden.
- Wir werden zukünftig eine Kirche sein, die in vielfältigsten Formen existiert. Kontextualisierung wird enorm wichtig sein und die kirchliche Gestalt formt sich von ihrem missionalen Auftrag her („mission shaped church“). Es wird viel weniger Vereinheitlichung geben.
Vielleicht ist das gar nicht die Kirche der Zukunft, sondern die Zukunft einer Kirche, die wir heute mit Mut, Vertrauen und Lust begründen – und der gehörigen Differenz zu dem, was heute Kirche auch alles noch ist. Und diese Vision ist kein Konzept für eine Zukunft, sondern die Kraft der Gegenwart.
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Dieser Text erscheint zeitgleich unter #mehrFragenalsAntworten bei www.kirchehoch2.de.