Gemeindeentwicklung im Geist der Exerzitien

Wie kommt Gottes Geist in einen Prozess von Gemeindeentwicklung? Nicht einfach durch frommes Tun oder geistliche Elemente als Tagesordnungspunkt. Eher durch implizite denn explizite Methoden. Und durch die Betrachtung der Wirklichkeit, die nicht erst Gottesvoll werden muss, sondern immer schon Gottesvoll ist.

Es ist ein Übungsweg. Es sind Exerzitien. Und deswegen sind die „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola ein Memorandum für Gemeindeentwicklung.

Rom, 1539.

Ignatius und seine Gefährten beraten über die Gründung einer Ordensgemeinschaft. Sie tun dies im Hören auf „die größere Frucht und den größeren Trost“ und entscheiden nach dem, was „Magis“ – Wachstum, Klarheit, Christus-Nähe – verspricht. Die Beratung ist geprägt von Stille, vom Gebet, vom Hören (vor allem aufeinander), vom Ins-Wort-bringen der inneren Regungen und dem reflektierenden „Verkosten“ dieser. Auf diese Art und Weise tut es Ignatius immer wieder, diese Weise empfiehlt er für Leitungsentscheidungen in seinem Orden wie auch für das Entscheiden in persönlichen Situationen. In seinen Briefen und den Geistlichen Übungen findet sich in der Summe das wieder, was man „ignatianische Kommunikation“ nennen kann. Menschen und Gruppen haben sich von diesen Erfahrungen und Empfehlungen anregen lassen, haben in großen und kleinen Dingen ebenfalls „Trost“ und „Magis“ gespürt und sich danach ausgerichtet.

Deutschland, 2016. Sitzung eines x-beliebigen Pfarrgemeinderats. Nachdem ein Text von Anselm Grün als „Geistlicher Impuls“ verlesen wurde geht es jetzt um die Tagesordnung. Auf der steht „Rückschau auf Ostern“, „Planung des Pfarrfestes (Bericht Festausschuss)“, „Geschenk für die Kommunionkinder“ und als „Anfrage des Diözesanrats“ die Bitte, Rückmeldungen zu einem langen Grundsatztext über die pastorale Entwicklung des Bistums zu geben. Der PGR-Vorstand hat den größten Redeanteil. Manche sitzen die Zeit ab. An den wenigen inhaltlichen Weichenstellungen wird eher wortlastig ein Beschluss vorformuliert und von den Anderen durchgewunken. Irgendwann wird sich die Frage stellen, wer sich eigentlich für die nächste Wahlperiode des Gremiums wieder aufstellen lassen wird.

Zwei kommunikative Settings in der Kirche. Zwei unterschiedliche Herangehensweisen an pastorales Tun. Man kann beide Settings nicht miteinander vergleichen und sollte sie nicht gegeneinander ausspielen. Das wäre unfair und würde zu Lasten der gemeindlichen Gremienarbeit gehen, die gleichwohl einen hohen Wert und auch eine Würde in sich trägt. Aber durch die Überzeichnung wird deutlich, was für eine „Methodik“, besser: was für eine Haltung, häufig in unseren kirchlichen Gremien (beileibe nicht nur dem Pfarrgemeinderat) zu finden ist, wo wir doch den Schatz ignatianischer Spiriualität haben, die nicht nur für die Einzelseelsorge, sondern auch für Gruppen- und Leitungsprozesse relevant sein kann – immerhin hat Ignatius Gruppen begleitet und einen Orden geleitet.

Diesen Schatz ein wenig zu heben, ein wenig ins Licht zu stellen, ein wenig funkeln zu lassen, darum geht es im Folgenden. Die Hilfe (das „Magis“ und den Trost), die diese Reflektion geben kann, ist, dass es möglich ist Gemeindepastoral geistlich zu gestalten und damit zum Wachstum beizutragen. Wenn doch sogar manch Managementratgeber unserer Zeiten sich auf Ignatius beruft. Der apostolische Impetus der Exerzitienspiritualität zeigt sich dabei in der „Schwellenzeit“ unserer Pastoral zu einem wichtigen Zeitpunkt.

Auf der Spur: Geistliche Gremienkultur

Noch ein Szenario: Es geht um den Zusammenschluss von vier bislang eigenständigen Kirchengemeinden zu einer. Eine Gruppe mit Gremienvertretern aller vier Gemeinden ist gebildet worden, diesen Prozess zu steuern, voranzubringen und alle inhaltlichen wie strukturellen Dinge mit den Noch-Gemeinden zu besprechen und zu entscheiden. Es ist eine Gruppe, die angesichts der Fusion lieber von „Erstarkung“ als von „Verschmelzung“ spricht und die in der Ausgangslage struktureller Veränderung der Pastoral das Potential für Gemeinde-Entwicklung sieht. So weit, so gut. Auf einem Klausurtag geht es darum, erste Richtungsentscheidungen zu treffen. Da geht es um Kirchenstandorte, da geht es um Dinge, die in Zukunft zweite Priorität sein sollen. Keine leichten Themen. Alle wissen und spüren das. Zu einem heiklen Punkt sitzen nun alle im Tagungsraum zusammen. Es ist zu spüren: Was als nächstes gesagt wird, wird eine Marke ziehen für die folgenden Diskussionen. Da sagt einer: „Lassen Sie uns einmal 15 Minuten Zeit nehmen für das Gebet, eine stille Zeit für jeden. Lassen wir Jesus und seinen Geist zu uns.“ Der Vorschlag wird angenommen, wohl wissend, dass es nicht um eine Pause geht, sondern um einen wichtigen „Tagesordnungspunkt“. Und so sieht man die Frauen und Männer in der Kapelle verschwinden oder im Gelände spazieren gehen. Muss noch gesagt werden, dass beim Wiederzusammenkommen nicht mehr lange debattiert werden musste, was nun zu entscheiden und wie weiterzugehen sei?

Was ist die besondere geistliche Qualität dieser Situation? Dass man nicht nur zu Anfang um den Geist und die Nähe Jesu gebeten hat, sondern dass man sein Wirken ausdrücklich zugelassen, ja: erwartet und ersehnt hat. Man war in der Lage, sich leiten und senden zu lassen. Nicht vom Pfarrer oder einem sprachlichen eloquenten Wortführer. Sondern von Christus. Der Boden dafür war bereitet, denn die Haltung, Besitzstände verteilen zu wollen, war aufgegeben worden. Das war die Grundbedingung. Es ging nicht um „meins“ oder gegen „euers“, sondern um „unsers“ – um eine Gemeinschaft, die von Jesus Christus her zusammengekommen ist um bei den Menschen und mit ihnen und für sie Kirche zu sein. Societas Jesu. Was nach einer wirklich frommen Gruppe klingt, war dabei eine Gruppe von „normalen“ Mitgliedern aus Pfarrgemeinderäten, Kirchenvorständen und dem Seelsorgeteam. Es gilt danach zu suchen, was Einfallstore für solche Momente sein können. Denn es sei nicht verschwiegen, dass die Erinnerung an diese dichten Stunden die Gruppe heute noch trägt, wenn es darum geht, die pastoralen Überlegungen und strukturellen Vorschläge vor Ort auch gegen Unverständnis, üble Nachrede und Leserbriefe in der Zeitung immer wieder neu anzubieten.

Beratung durch den Geist Jesu heißt: Jesus einen Platz geben

Die Apostelgeschichte berichtet, dass der Beschluss des sogenannten Apostelkonzils im Einvernehmen mit dem Heiligen Geist getroffen wurde (vgl. Apg 15,28). Ignatius schreibt im Exerzitienbuch (EB 169) über die Grundbedingung eine Entscheidung treffen zu können, dass die Absicht sei, „zum Lobpreis Gottes und zur Rettung der Seele“ zu handeln. Das von ihm dort angeführte Beispiel der Heirat lässt sich auf Entscheidungssituationen in der Gemeindepraxis übertragen. Oft ist auch hier das Mittel schon Ziel. Denn ein bestimmtes Ziel zu erreichen, dafür ist nicht jedes Mittel recht. Manche Entwicklung in der Gemeinde würde sich anders darstellen, wenn nicht das Mittel, sondern das Ziel im Fokus stünde. Einfach mal nicht zu fragen „Wie?“ sondern „Warum?“. Wenn z.B. die Wege der Glaubensverkündigung nicht mehr greifen ist ja nicht automatisch die Glaubensverkündigung selber obsolet. Oft sind wir zu sehr „eingerichtet“ und nicht mehr „ausgerichtet“.

Es gibt in Gemeinden der USA die Tradition, bei Sitzungen einen leeren Stuhl am Tisch stehen zu lassen. Für Jesus und die damit offen und sichtbar gehaltende Frage „What would Jesus do?“ – Was würde Jesus jetzt tun? Da schwingt die jüdische Tradition mit, für das Kommen Eliahs allzeit bereit zu sein. Da schwingt aber auch mit, was Ignatius im Exerzitienbuch als Übung an den Beginn der Zweiten Woche stellt: Für den Ruf des ewiglichen Königs offen zu sein (EB 98).

Bischof Felix Genn (Münster) schreibt in seinem Buch „Es würde der Welt etwas fehlen“ (Echter-Verlag), in dem er die Exerzitienspiritualität und Pastoral nebeneinander hält: „Ich bin nicht das Prinzip“. Das meint: Es geht nicht um uns, geschweige denn um mich. Es geht um den Ruf Christi, der „aber mehr ist als der Anruf in eine augenblickliche Situation hinein“. Es entlastet ungemein, die Dinge nicht im Klein-Klein des Augenblicks, sondern im größeren Zusammenhang letztlich der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu zu sehen. Denn wer nur auf den Punkt sieht, erkennt keine Richtung. Wer auf der Stelle steht, steht sich selber im Weg. Wer nur auf sich sieht, sieht von den anderen ab. Wer sich nur von der Gruppe her bestimmt, wird jede Gruppenkrise als Sendungskrise missverstehen.

Veränderung: Warum nicht?

Die territorialen Gemeinden stehen heute sowohl von innen als auch von außen her vor massiven, ja, existentiellen Herausforderungen. Wo deswegen „Burning Persons“ und „Gate Keepers“ nötig wären, trifft man häufig auf ausgebrannte Haupt- und Ehrenamtliche, die keine Hürden übersteigen wollen. Von der Würde und Kraft des Taufcharismas, den lebensstärkenden Gaben des Heiligen Geistes – keine Spur.

Die stellenweise dramatische und tragische Situation ist zu komplex, um sie hier auf einen Schlag lösen zu können. Es ist natürlich auch nicht leicht, „mal eben“ Dinge komplett neu zu verstehen. Die Rede von „Veränderung“ ist nur dann leicht, wenn man die emotionale Bedeutung dessen außen vor lässt, dass durch Veränderungen halt etwas anders wird. Der Mensch ist von Natur aus nun mal auf Stabilität und Sicherheit hin angelegt. Das ist unser Erb-Gut.

Von Ignatius wird berichtet, dass er sich angesichts der sich ihm aufdrängenden Lebensentscheidungen von dem schlichten „Warum nicht?“ hat motivieren lassen, das ihm im Schloss Loyola als Unterschrift unter einem Weihnachtsbild begegnete. Ihm gelang es, seine Ziele so zu stecken, dass sie ihn motiviert haben. Seine berühmten Regeln zur Unterscheidung der Geister (EB 328ff) geben Zeugnis davon, dass man sich dazu „be-Geist-ern“ lassen kann, voller Freude Dinge anzupacken. Weil die Energie nicht zusätzlich erarbeitet werden muss, sondern in den Dingen selber liegt. Dabei ist es Teil seiner Biographie, das solche Unterscheidungszeiten mitunter lange gedauert haben und ihn auch bis an den Rand der Selbstaufgabe führten.

Daraus ableitend scheint es für die Gemeindeentwicklung heute ratsam, nicht auf eine schnelle Entscheidung und damit eine scheinbar schnelle Veränderung zu setzen, sondern der Unterscheidung Raum zu geben. Keine Frage: Es muss viel entschieden werden, vielleicht wird in Gemeinde auch zu wenig entschieden, weil man sich vor Entscheidungen „drückt“. Aber manchmal wird dann im Reflex zu schnell entschieden, auch, weil zu wenig Zeit für Besinnung und Reflektion ist. Ignatius hat sich als Generaloberer diese Zeit nicht nehmen lassen. Er hat im wahrsten Sinn oft „eine Nacht darüber geschlafen“, hat damit nicht nur der Sache, sondern auch der Einsenkung einer Entscheidung in sich selbst, mehr Raum gegeben. So könnte man z.B. im Seelsorgeteam einüben, Beratung und Entscheidung über einen Gegenstand voneinander zu trennen. Das täte vermutlich nicht nur der Klarheit der Entscheidung, sondern auch der Motivation der Entscheider gut.

Sich selber beim Reden zuhören ist keine Kommunikation

Dem „Prinzip und Fundament“ der Geistlichen Übungen vorangestellt, führt Ignatius aus, was die kommunikative Grundhaltung zwischen den Beteiligten zu sein hat: Damit das Miteinander mehr Hilfe und Nutzen bringt, ist vorauszusetzen, „dass jeder gute Christ bereitwilliger sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen. Und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe.“ (EB 22)

Diese so schlicht anmutende Haltung sei jeder kirchlichen Gremiensitzung, gerade dann „wenn es um etwas geht“ (ja, um was denn eigentlich?), gegönnt. Zweierlei liegt darin: 1. Die Suche nach dem, was Hilfe und Nutzen bringt. So sei sich zunächst über den Gegenstand verständigt und über das mit der Behandlung verbundene Ziel: Warum reden wir über dies oder jenes? Was ist „dran“? 2. Die Haltung der Wertschätzung voreinander, was auch dazu frei machen darf, „die Wahrheit in Liebe“ zu sagen. Wo man sich voreinander als „Besser“ oder „Unwichtig“ versteht, wird dies nicht gelingen. Wo man sich aber gemeinsam auf die suchende, wahrnehmende, auf Gott hörende Seite stellt, ändert sich die Kommunikation miteinander, weil sich die Haltung vor- und zueinander geändert hat. Wichtig ist, dies voreinander auszusprechen und damit zu vergewissern. Denn „die Liebe besteht in Mitteilung von beiden Seiten.“ (EB 231)

Damit ist ein hoher Maßstab an die Kommunikation gesetzt. Es geht sowohl um das „was“ als auch das „wie“ der Kommunikation. Befreiend mag dabei sein, dass es im Diskurs nicht darum geht, die „beste aller Welten“ erschaffen zu müssen – das macht Druck – sondern gemeinsam den Willen Gottes zu erkunden, der schon längst entschieden hat. Und zwar zum Besten hin. Wie anders würde man z.B. an die Frage der Streichung eines Gottesdienstes herangehen: Müssen wir jetzt eine Antwort „erstreiten“ und verteidigen und wem müssen wir es allen recht machen? Oder unterscheiden wir miteinander den „Aber-Geist“ vom Geist Gottes? Trauen wir Gott zu, dass er schon längst entschieden hat? Glauben wir daran, dass sein Geist Weisheit und Rat und uns die Freiheit der Kinder Gottes gibt? Können wir dem Herrn die Verantwortung übertragen und entschieden für seinen Willen eintreten (wo wir dies doch in jedem Vater Unser betend bekennen)? Wollen wir uns seiner Führung anvertrauen?

Indifferent differenzieren

Ein Kernwort der Exerzitienspiritualität ist „Indifferenz“, gerne mit „engagierter Gelassenheit“ übertragen. Sie ist eine Haltung der inneren Freiheit gegenüber den Dingen. Auch das Wort „Gleichgültigkeit“ drängt sich auf, freilich nicht im Sinne der Beliebigkeit, sondern als Wert-Aussage gegenüber den Dingen. Es ist nichts besser oder schlechter, zunächst ist erst einmal alles da. „Wir sollten also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes.“ (EB 23) Kurz gesagt: Es ist, wie es ist. Mit Faszination gegenüber den Augenblicken, wo diese Haltung gelingt, leuchtet ein, dass sich aus dieser Haltung heraus die Entscheidung für etwas mit größerer Weitsicht treffen lässt.

Nun ist eine Gemeinde, ist unsere ganze Kirche, ein Ort, wo es „menschelt“: Wo Menschen zusammenkommen mit allem, was Menschen ausmacht. Wo Menschen mit Leidenschaft und Eifer sich für etwas einsetzen und durch diesen Einsatz Energie in die Organisation bringen. Diese Dynamik schafft Impulse, die Impulse schaffen Programme und das Programm verdichtet sich zu einer Kontur der Gemeinde. Es braucht entscheidende Menschen für eine entschiedene Gemeinde. Und es braucht Entscheidungen, wie diese Menschen ihr Charisma entschieden einbringen können.

Wir kennen aus den Gemeinden aber auch die Starre und die Unbeweglichkeit, Verbissenheit und Unredlichkeit. Nicht die Leidenschaft an sich ist dabei das Problem, sondern wenn diese Leiden schafft. Menschen erleben auch in Gemeinden Enttäuschung, Kränkung, Bevormundung, Entscheidungen bleiben uneinsichtig oder sollen es sogar bleiben. Dann entstehen Krisen. Und Krisen sind – allein vom Wort her – Zeiten, wo sich etwas entscheidet.

In der Folge dessen, was in der bisherigen Reflektion der Exerzitienspiritualität für die Gemeindepastoral hervorgetreten ist, ist es dann an der Zeit, zurückzutreten, etwas und jemand anderes wirken zu lassen. Im Sinne der „engagierten Gelassenheit“ heißt dies nicht: Abwarten, aussitzen, sich stumm stellen. Sondern höchst aktiv darin zu werden, in Gelassenheit engagiert zu sein und nach dem Richtigen zu fragen – dabei aber eben nicht von den eigenen Absichten und Ansichten auszugehen (EB 46). Diese „Kontemplation in Aktion“ lässt sich dabei nur dann einüben, wenn es gerade nicht kriselt. So wie ein Exerzitant nicht in einer Krise die geistlichen Übungen exerzieren soll, sind solche „Gemeinde-Exerzitien“ Rüstzeiten und bilden Proviant für die verschiedenen Etappen des gemeinsamen Weges.

Konflikt – eine Form von Gemeinschaft

Wer von „Konflikt“ spricht, meint die Auseinandersetzung. Manchmal ist das auch wortwörtlich so: Hier die einen, dort die anderen. Dabei ist ein Konflikt nur eine besondere Form von Kommunikation. Zunächst gilt es deshalb zu unterscheiden, worin der Konflikt liegt: Ist es ein Konflikt zwischen Personen oder Sachen, den Umständen geschuldet oder konkreten Situationen? Manchmal ist es auch eine Mischung und die Klärung der „Triebe“ des Konflikts dann erst Recht unerlässlich.

Im zwischenmenschlichen Konflikt vermag die in EB 235f einzuübende Erinnerung an die von Gott jedem Geschöpf innewohnende Liebe die Augen öffnen, dass Gott jedem Einzelnen in allem dient, auch in der „störenden“ Person. Das macht aus dem Gegenüber ein „Für mich“. Im Konflikt um eine Sache ist nicht die Unterscheidung der Geister sondern wieder die Indifferenz der erste Rat: Von der Emotionalität „herunterkommen“ und sich darauf besinnen, die Dinge „zur größeren Ehre Gottes“ anstreben zu wollen. Und zwar nicht als „Verordnung“, sondern in Geschenk. Denn wie schnell ist man von Meinungen – v.a. der eigenen – abhängig. Aber „jeder bedenke, dass er in allen geistlichen Dingen soviel Nutzen haben wird, als er aus seiner Eigenliebe, seinem Eigenwillen und Eigeninteresse herausginge.“ (EB 189)

Entwicklung – Wachstum – Erfolg. Oder einfach: Magis

Am Ende dieses kleinen Durchgangs steht sodann noch einmal die Betonung dessen, was im Wort „Magis“ zum Ausdruck kommt: Dass es in der Gemeindeentwicklung nicht um „größer, schneller, weiter“ gehen sollte, sondern höchstens um „tiefer, genauer, größer“. Erfolg, Entwicklung und Wachstum sind nicht in dem Maße zu definieren, das es z.B. mehr Besucher beim Pfarrfest oder mehr Rücklagen gebildet werden. Zwar braucht auch die Gemeindearbeit Ziele, braucht Vereinbarungen, an denen sie sich „messen“ lassen kann, vor allem vor sich selbst. Das pastorale Tun muss ausgewertet werden können. Aber so wie ein gesundes Wirtschaftsunternehmen nicht an der Rendite, sondern am Umsatz erkannt wird, so sollte man sich in der Gemeinde überlegen, wonach man sich misst. Wenn Jesus (beispielsweise!) den 5000 Gespeisten nicht nachtrauert, sondern die 12 in der Nachfolge lehrt, dann gilt wohl „Qualität vor Quantität“ – also z.B. nicht danach zu fragen, wie viele Erstkommunionkinder am nächsten Sonntag wiederkommen, sondern ob sie in der Freundschaft mit Jesus wachsen konnten.

So wie der Exerzitant nach den Geistlichen Übungen nicht „fertig“ ist braucht die Gemeindeentwicklung einen langen Atem und ein immer wieder Einübung dessen, was zum „Magis“ führt. Es geht nicht um Ernte, sondern um Wachstum (vgl. Mt 6,26). Frei nach Ignatius prägt dabei eine glaubende Gewissheit das, was man Gemeindeentwicklung im ignatianischen Geist nennen kann: „Die meisten Gemeinden ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen würde, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden.“

(Der Text erschien ursprünglich in der „Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien„, Heft 101, Jahr 2012)

Foto: Wegweiser oberhalb von Überlingen, (c) Jan-Christoph Horn


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