Diakone – nicht Priesterreserve sondern Amt des Wandels

Wenn ich ein Bild malen sollte, wie ich die derzeitige Diskussion um die kirchlichen Ämter im Kontext der Kirchenentwicklung so wahrnehme, dann würde es ungefähr so aussehen: Ein großer Raum. In der Mitte des Raumes steht ein Podest, auf dem ein Priester steht. Um ihn herum stehen ganz viele Menschen in denkerischer Pose und schauen auf ihn. „Hm, was machen wir nur?“ – „Gut steht es ja nicht um ihn.“ – „Da müssen wir was machen.“ Neben dem Podest steht ein Bischof. Mit sorgenvoller, aber auch mahnend-erinnernder Miene sagt er immer zu: „Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt, auch des priesterlichen Wirkens“. Nicht im Raum ist der Diakon: Er steht mit einem anderen Menschen vor der Tür, ins Gespräch vertieft.

Der Dienst des Diakons geschieht meist abseits und außerhalb der Wahrnehmung der Pfarrei. Und so ist es fast schon „typisch diakonisch“, dass er auch in den Überlegungen zur Kirchenentwicklung kaum vorkommt. Und wenn er erwähnt wird, dann meist nur im amtlichen Dreiklang Bischof – Priester – Diakon. Er gehört irgendwie zum Amt, eine eigene Amtsbestimmung im Kontext des Wandels fehlt aber.

In der letzten Zeit kam der Diakon dann allerdings über eine Karte ins Spiel, die ich für nicht hilfreich halte, nämlich über den Priestermangel. Wenn es um die Zulassung von sogenannten „viri probati“ also verheirateten „bewährten Männern“ zur Priesterweihe geht, dann ist meist der Vorschlag nicht weit, man könne doch Ständige Diakone zu Priestern weihen.

Sowohl als Organisationsentwickler als auch als Ständiger Diakon halte ich diese Rolle als „Lückenbüßer“ für nicht hilfreich. Das Potential des Diakons in der Kirchenentwicklung wird so nicht ausgeschöpft.

Hier meine Thesen zur Rolle des Diakons in der Kirchenentwicklung:

 

1. Diakone sind keine stille Priesterreserve

Der Vorschlag, man könne Ständige Diakone zu Priestern weihen, liegt zwar nahe, ist es doch der klassische „Werdegang“ des Priesters, zuerst Diakon zu werden. Aber der Vorschlag empört mich zunehmend, denn Diakone sind eben keine stille Priestereserve:

Nicht Ersatzpriester, sondern Diakon um der Diakonie wegen

Der Vorschlag lässt in dieser isolierten Betrachtung aus dem Blick, dass der Diakonat keine bloße Vorstufe zum Priestertum ist, sondern ein eigenständiges Amt der Kirche, mit eigenständigem Charakter und eigener Notwendigkeit. Er ist derjenige, der an die Seite der Notleidenden gesandt ist und der die Kirche immer wieder daran erinnert, dass das Evangelium auch in Taten verkündet werden muss.

Dies spiegelt sich auch in der Amtsmotivation der Diakone wieder: Entgegen der Jahre direkt nach dem zweiten Vatikanischen Konzil, als viele verheiratete Männer Diakone wurden, weil sie mit einer baldigen Abschaffung des Priesterzölibates rechneten, werden heute Männer überwiegend aus sozial-diakonischer Motivation zum Diakon geweiht. Sicherlich, es gibt sie, die Mitbrüder im diakonischen Dienst, die lieber Priester wären, aber geheiratet haben und nun als Diakone ihren Dienst für die Kirche leisten. Aber der größere Teil ist eben Diakon geworden, um einen diakonischen Dienst zu leisten. (Hierzu sei die „Diakonen-Studie“ des Theologen Professor Paul M. Zulehner aus dem Jahre 2002 empfohlen1.)

Zu wenige, um ein Reservoir für Priesterakquisition zu sein

Aber auch jenseits der Amtsmotivation wären die Ständigen Diakone rein zahlenmäßig kein geeignetes „Reservoir“ für die Priesterakquisition: Die Anzahl der Diakone in den Bistümern ist meist recht gering und nur ein kleiner Teil wäre vermutlich überhaupt zur Priesterweihe bereit. Diese Bereitschaft hat interessanter Weise die oben genannte Zulehner-Studie abgefragt. Die Studie war zwar nicht repräsentativ, aber ich denke, für eine Überschlagsrechnung ist sie ausreichend:

Damals (2002) hatten von den 443 befragten Diakonen aus acht deutschen Bistümern 32,8% gesagt, sie wären „unter anderen Bedingungen“ auch bereit, Priester zu werden2. Diese Zahl wird heute vermutlich geringer sein, da der „Trend“ des Amtes über die Jahre in vielen Bistümern weg vom „Ersatzpriester“ hin zu einem sozial-caritativ orientierten Amt ging.

Nehmen wir mal an, dass der Bereitschaftsgrad heute bei ca. 25% läge. Und sagen wir weiter, dass die Altersgrenze für die Zulassung zur Priesterweihe von viri probati bei höchstens 60 Jahren liegen würde. Dann ergäben sich, bei derzeit 1.567 Diakonen in Deutschland unter 61 Jahren3 vielleicht einmalig(!) 392 neue Priester. Bei 27 Bistümern macht dies pro Bistum durchschnittlich einmalig(!) 14 Neupriester. Die Zahlen würden natürlich stark zwischen den Bistümern variieren, je nach Anzahl der Ständigen Diakone und je nach „Diakonenpolitik“ der letzten Jahre.

Keine Nachhaltigkeit

Ich denke, eine solche Aktion würde nur kurzfristig und sehr begrenzt Linderung des Priestermangels bringen. Zum einen, weil es eben eine einmalige Aktion ist. Zum anderen, weil ein Großteil dieser Mitbrüder nach 10-20 Jahren auch schon wieder in Rente gingen, denn ca. zwei Drittel der Diakone unter 61 Jahren sind bereits über 50 Jahre alt!

Natürlich ist dies eine pauschalisierte Rechnung basierend auf Annahmen. Aber mir ist vor allem die sich ergebende Größenordnung wichtig: Einmalig ca. 14 Neupriester pro Bistum, davon der Großteil über 50 Jahre alt. Zur nachhaltigen Aufrechterhaltung des derzeitigen Systems taugt das nicht! Es tritt allenfalls eine kurze Linderung der Probleme ein, die schlimmstenfalls den notwendigen Wandel sogar noch verzögern würde. Viri probati aus dem Kreis der Diakone zu rekrutieren ist nicht die Lösung für den Priestermangel.

 

2. Erst Kirchenbild, dann Ämter und Zugangswege

Ich halte es für notwendig, die Diskussion um die mittel- und langfristige Personalpolitik (und mit ihr auch die Zulassungsdebatte zu den Ämtern) nicht mit Blick auf den heutigen Status Quo zu führen. Es ist abzusehen, dass sich die Art und Weise, wie Kirche in Zukunft „sein“ wird, stark ändern wird.

„Gemeinsam Kirche sein“, das Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral, hat einen Kulturwandel in der Kirche eingeläutet. Aus der „Volkskirche“, die ihre Gläubigen an den Kirchorten versorgt, soll eine „Kirche des Volkes Gottes“ werden, die mit allen Getauften als Verkünder des Evangeliums in der Welt aktiv ist.

Nicht den Priestermangel singulär lösen

Wenn die Kirche sich überlegt, zusätzliche Ressourcen im priesterlichen Dienst zu akquirieren, dann bitte so, dass sie eine Investition in den Wandel und in die Zukunftsfähigkeit der Kirche sind. Hierzu brauchen wir aber zuerst ein klares neues Kirchenbild, um dann die Rolle der zukünftigen Priester, ja eigentlich die Rollen aller kirchlich Beauftragten, genauer fassen zu können. Eine Änderung der Zulassungsbedingungen macht erst Sinn, wenn sie von einem klaren zukünftigen Kirchenbild motiviert ist und in eine tragfähige Gesamtstrategie der weiteren Entwicklung der Kirche eingebettet ist.

 

3. Für den Wandel not-wendig: Pioniere und Diakone

Wenn ich mir die Grundzüge des zukünftigen Kirchenbildes ansehe, die jetzt schon sichtbar sind, und überlege, welche Personalressourcen für den Wandel notwendig sind, dann denke ich, dass es jetzt(!) weniger der Priestermangel ist, der uns Sorgen machen sollte.

Auch wenn die derzeitig diskutierten Modelle der Kirchenentwicklung noch unscharf sind, so lassen sich einige Grundzüge finden, die in vielen Modellen vertreten sind4:

  • Kirche-sein unter Beteiligung vieler: Gemeinsam Kirche sein spricht davon, dass die Kirche nicht mehr auf wenige delegiert oder auf einige Ämter beschränkt sein soll. Alle Getauften sind berufen, Kirche zu sein.
  • Kirche als „Gemeinschaft von Gemeinden“: So ist der Titel des fünften „Lumko“-Kirchenbildes, also der am weitesten entwickelten Kirche. Sie gestaltet sich von ihrer Sendung her, ist aber auch der Raum, in dem Christus sein Volk sammelt, im Wort und im Sakrament5.
  • Eine plurale Pfarrei mit verschiedenen Kirch- und Segensorten: Gemeinsam Kirche sein spricht von der „Pfarrei neuen Typs“  als eine „Gemeinschaft von Gemeinschaften“, die verschiedene Orte kirchlichen Lebens hervorbringt. Die lokale Kirchenentwicklung spricht von lokalen Kirch- oder Segensorten, an denen Menschen ihre christliche Sendung in ihren Kontexten leben.

Was bedeuten diese Grundzüge nun für den zukünftigen Personalbedarf?

Gesucht: Pioniere die „rausgehen“

Wenn die Pfarrei als eine Gemeinschaft von Gemeinschaften wirklich die Zukunft ist, dann müssen wir uns zunächst fragen: Wer baut denn diese Gemeinden auf? Wer bringt denn das Wort Gottes in die Stadtteile und Ortschaften?

Der Paradigmenwechsel hin zu einer „Kirche des Volkes Gottes“ ist für die jetzigen Mitglieder der „Pfarrgemeinde“ ein immenser Gedankensprung: Sie sind plötzlich nicht mehr „Versorgte“ an den Kirchorten, sondern sollen „rausgehen“ und in ihren Kontexten selbst zu Trägern der Pastoral werden. Wenn dem so ist, dann muss ich fragen: Wie viele solcher „Pioniere, die rausgehen“ haben wir in den Pfarreien? Wie viele Menschen gehen wirklich raus in die Ortschaften und Stadtteile, um das Evangelium in Wort und Tat verkündigen. Das gewünschte Kirchenbild der „Gemeinschaft von Gemeinden“ lässt sich ohne sie nicht erreichen.

Konsequenzen für das Amt

Daraus folgt aber auch, dass sich die Form der (hauptamtlichen) Pastoral massiv ändern muss. Statt zentral zu versorgen, muss sie dezentral Menschen „entdecken“, befähigen und begleiten, damit diese als Pioniere in ihren Kontexten das Evangelium verkünden können. „Gemeinsam Kirche sein“ sieht das Entdecken und Fördern der Charismen als eine der zentralen Aufgaben der Pastoral. Allerdings sieht das Dokument „insbesondere den Priester“, der als „Geburtshelfer“ den „Schatz“ der vielen „Anstifter zu Glaube, Hoffnung und Liebe“ in den Pfarreien heben wird6.

Ich möchte an dieser Stelle ein Fragezeichen setzen und genauer hinschauen, was dieses „Schatz heben“ denn bedeutet, denn der „amtliche Anstifter“ zur Nächstenliebe und Solidarität ist ein anderer.

Gesucht im Amt: Sozialraumorientierung, Not-Sensitivität und Evangeliumsnähe

Wenn die Kirche von einer Verkündigung des Evangeliums in den Kontexten der Menschen redet, so kommt sie um eine Sozialraumorientierung nicht herum. Es braucht eine gute Kenntnis der Lebenssituationen der Menschen sowie eine gepflegtes Netzwerk im Sozialraum. Es gilt mit den Menschen zu schauen, wie dieser Ort im Sinne des Evangeliums ein besserer Ort werden kann. Für den anstehenden Wandel der Kirche bräuchten wir also ein Amt, dass nahe bei den Sorgen der Menschen und beim Evangelium ist; verankert im sozialen Handeln der Menschen und in der Eucharistie.

Dieses Amt haben wir aber bereits: Es ist, (Trommelwirbel), das Amt des Diakons! Die Betrachtung des Sozialraumes ist eine klassische Kompetenz des Diakons. Er geht zu den Menschen und sorgt gemeinsam mit ihnen für bessere Lebensumstände, für mehr Reich Gottes. Und es ist auch das Amt, dass den Menschen hilft, ihren Sendungs- und Entfaltungsraum in der Welt zu erkennen, damit sie selber diakonisch handeln.

Der Diakon ist das Amt des Wandels

Die Kirche im Übergang zu einem neuen Kirchenbild wird sich stark aus der Diakonie heraus gestallten. Der Diakon ist der genuine amtliche Initiator und Begleiter lokaler, kontextsensitiver Gemeinschaften. Daher wird auch das Amt des Übergangs nicht das des Priesters sein, sondern das Amt des Diakons.

Von dieser Rolle als „amtlicher Initiator und Begleiter“ scheint mir das Amt in der Praxis aber noch einiges entfernt. Und angesichts der nur knapp 900 Diakone im Hauptberuf und 1.500 Diakone im Zivilberuf in Deutschland7 ist es meines Erachtens angebracht, (endlich) auch von einem Diakonenmangel zu reden!

Der Weg zu mehr Diakonen ist offen

Dabei ist dieser Mangel, zumindest für den männlichen Teil der Getauften, ganz ohne Diskussion um die Zulassungsbedingungen zu beheben: Wir müssen „nur“ wahrnehmen, wen Gott schon in diakonische Arbeit beruft. Das Missionsdokument „Ad Gentes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils spricht davon, dass Männer, die eh schon diakonisch tätig sind zu Diakonen geweiht werden sollten:

… es ist angebracht, daß Männer, die tatsächlich einen diakonalen Dienst ausüben, sei es als Katechisten in der Verkündigung des Gotteswortes, sei es in der Leitung abgelegener christlicher Gemeinden im Namen des Pfarrers und des Bischofs, sei es in der Ausübung sozialer oder caritativer Werke, durch die von den Aposteln her überlieferte Handauflegung gestärkt und dem Altare enger verbunden werden, damit sie ihren Dienst mit Hilfe der sakramentalen Diakonatsgnade wirksamer erfüllen können. (AG 16)

Männer, die sich lokal und im Sozialraum engagieren und so auch lokale Kirchorte oder diakonische Gemeinschaften innerhalb der Pfarrei entwickeln, könnten also zu Diakonen geweiht werden und so den Wandel der Kirche stärken. Ihre Weihe ist für die Männer Indienstnahme und Stärkung und für die örtlichen Gemeinden stellen sie eine amtliche und auch strukturelle Stärkung und Anbindung an Pfarrei dar.

 

4. Ein Fazitversuch

Zahlenmäßig wie auch von der Charakteristik des Amtes her, sind Diakone schlicht keine Priesterreserve. Sie zu Gunsten der Priester zu „räubern“ wäre geradezu kontraproduktiv, da sie das Amt sind, welches für gewünschten Kulturwandel in Kirche gebraucht wird: Sie sind die amtlichen Initiatoren und Begleiter lokaler, kontextsensitiver Gemeinschaften.

Sie verdeutlichen durch ihr Amt die generelle Berufung jedes Christen, eine Brücke in die Sozialräume hinein zu schlagen und eine Schnittstelle zwischen dem Evangelium und den Kontexten der Menschen zu sein.

Die Kirche muss zum jetzigen(!) Zeitpunkt keine neue Amtsmöglichkeiten im priesterlichen Dienst schaffen, sondern die vorhandenen Möglichkeiten anders nützen, um Veränderung zu ermöglichen. Diakone sind aufgrund ihres diakonischen Profils die Pioniere im „unentdeckten Land“, die wir jetzt brauchen. Dabei können sie, je nach Kompetenz und Charisma, sowohl selbst pionierhaft „raus“ in die Orte gehen, als auch Begleiter solcher Pioniere sein. (Natürlich muss nicht jeder Pionier ein Diakon sein bzw. werden.)

Anstelle der Debatte über die Zulassung der viri probati zur Priesterweihe wäre für mich jetzt eher die Klärung der Frage dran, wie eine sakramentale Stärkung der Frauen als Pionierinnen oder im diakonischen Dienst erfolgen könnte.

Die Debatte um die Zulassung zur Priesterweihe wird, so meine Hypothese, mit voranschreitender Klärung und Umsetzung des Zukunftsbildes anders geführt werden. Die Fragen werden sich anders stellen und die Rolle des Priesters eine andere sein wird als heute. Und dann lassen auch andere Amtsmodelle und Zugänge entwickeln, die eben nicht ein „weiter so“ sind, sondern ein echter, nachhaltiger Kulturwandel.

 


  1. U.a. zu finden in „Dienende Männer – Anstifter zu Solidarität“. Schwabenverlag, Ostfildern, 2003 ↩︎
  2. Studie an Diakonen 2002, Tabellenband, PDF Dokument, Q161, S. 109. http://www.zulehner.org/site/forschung/personal/diakone, abgerufen am 12.03.2017 ↩︎
  3. Stand 1.1.2016, vgl. Jahresstatistik 2015 http://diakone.de/aktuelles/statistik, abgerufen am 12.03.2017 ↩︎
  4. Stellvertretend seihen hier das Dokument „Gemeinsam Kirche sein“ und die Kirchen-„Bilder“ des Lumko-Instituts (Südafrika) und des Teams in Bukal ng Tipan (Philippinen) genannt. ↩︎
  5. vgl. Hennecke, Viecens: Der Kirchenkurs, Echter-Verlag. Würzburg 2016. S.109 ff. ↩︎
  6. „Gemeinsam Kirche sein“ Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral / hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. – Bonn 2015. – 57 S. – (Die deutschen Bischöfe ; 100) S.53 ↩︎
  7. Stand 1.1.2016, www.diakone.de, abgerufen am 12.3.2017 ↩︎


Foto: (c) Michael Bonert


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