Am 6./7. Dezember 2017 fand im Kardinal-Schulte-Haus in Bensberg der 5. Strategiekongress statt. Der Kongress, veranstaltet von kairos Coaching-Consulting-Training, Thomas Morus Akademie, Bistum Trier und IPOS, stand unter dem Motto „Der eigenen Sendung folgen – Organisation und Führung in einer dynamischen Kirche“ und zeigte sich personell, inhaltlich, methodisch und ästhetisch sehr vielfältig. Hier mein Kongress-Rückblick in 10 Überschriften.
1. Der äußere Eindruck: Professionalität, Wertschätzung und gelungene Ästhetik
Beeindruckt hat mich bei diesem Kongress die Professionalität der Vorbereitungen und der Durchführung. Bemerkbar wurde das für mich an den passend ausgesuchten Referent*innen, am realistischen Zeitplan, an der ansprechenden Methodenvielfalt sowie an der gesamten Kongress-Ästhetik. Diese war bereits in den letzten Jahren sehr ansprechend, zeigte sich aber in diesem Jahr noch deutlicher, kombiniert mit einer großen Wertschätzung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Konkret zeigte sich dies in selbstgestalteten Nikolaustütchen mit Süßigkeiten, in einer Polaroid-Fotowand der Teilnehmenden, in ganz einfachen, aber sehr hübschen offline-Abstimmungstools: die Frage lautete, wie Kirche zukünftig sein wird. Dazu konnte man Wasserperlen in Flaschen mit den Aufschriften „arm“, „missionarisch“, „geschlechtergerecht“, etc. werfen. Hier zeigt sich die Handschrift von Ursula Hahmann, die neu im Team des Srategiekongresses ist und ihr Können aus Design und Marketing an vielen Stellen sichtbar machte. Die gelungenen Visualisierungen von Jutta Tacke rundeten im Kongressverlauf das Bild ab.
2. Führung der Zukunft
Wie kann Führung gestaltet werden, wenn sich die Realität als so flüchtig und wenig vorhersagbar gestaltet? Wie geht man damit um, wenn die Welt aus „VUKA“ (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität, Ambiguität/Ambivalenz) besteht? Und welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte in einer globalisierten Wissensgesellschaft? Diese Fragen bildeten den roten Faden des Kongresses.
Prof. Helmut Willke diagnostizierte in seiner Keynote die Globalisierung und die Veränderungen hin in eine Wissensgesellschaft als große Herausforderungen für Organisationen. Dies führe dazu, dass eine gelingende Steuerung von Organisationen unwahrscheinlich sei. Die Führung der Zukunft müsse die verteilte Intelligenz organisieren (anstatt zu glauben, alles selbst besser zu wissen), um Selbstorganisation als Bedingung von Stabilität zu ermöglichen. Denn heute braucht es intelligente und lernende Organisationen, die über den Tellerrand hinausblicken und Rahmenbedingungen verändern (Kontextsteuerung).
Dazu passend gab es im Kongressprogramm daher „agile Methoden“ und verschiedene Referent*innen, die aufzeigten, wie man Organisationen und Verwaltungen mit etwas mehr Agilität aufstellen kann. Veronika Lavesque vom Forum agile Verwaltung zeigte auf, wie öffentliche Verwaltungen mit sich schnell verändernden Umwelten umgehen können. Detlev Trapp, Gründer von Cidpartners stellte vor, wie die eigene Beratungsfirma sich verändert hat, um eine gute Balance zwischen Stabilität und Agilität zu finden.
Als OE-Berater und Führungskraft in Kirche frage ich mich, wie eine gute Balance zwischen Stabilität und Agilität in den Kirchen aussehen kann? Stabilität können wir aus der Erfahrung der letzten 130 Jahre schon recht gut, so dass die Herausforderung aktuell eher in der Umsetzung von Agilität liegt. Führung der Gegenwart und der Zukunft bedeutet dann: agile Steuerung nicht steuerbarer, intelligenter Organisationen!? Es steht also ein Paradigmenwechsel an. Und funktionieren kann dies nur, wenn das „wofür“ der Organisation klar ist: Wofür sind wir als Organisation da? Welche Probleme wollen wir als Organisation lösen? Was würde der Gesellschaft fehlen, wenn es diese Organisation nicht gäbe? Und damit sind wir beim nächsten Stichwort.
3. Der eigenen Sendung folgen
Das Titelthema des Kongresses wurde in vielen Beiträgen benannt und als Kern und Grundvoraussetzung identifiziert. Mechthild Reinhard, Gründerin der SysTelios Klinik hielt eine anregende, aber das Publikum auch irritierenden Keynote: sie zeichnete ihren Vortrag live auf eine Pinnwand, verwendetet eine Sprache, die eher aus dem Therapeutischen kam und verdeutlichte viele ihrer Bilder mit „Spielzeug“. Und eine Metapher war es dann auch, die bei den Kongressteilnehmenden fand: das brennende Feuer, um das sich alles andere gruppiert. Diese Feuerstelle, dieser Kern, dieses „Wofür“ muss identifiziert sein und handlungsleitend werden, damit aus einer Organisation ein „lebender Organismus“ werden kann. Dieses Bild der Feuerstelle bekam im Laufe des Kongresses große Resonanz und tauchte in verschiedenen Abwandlungen immer wieder auf, so dass beispielsweise in einem Workshop „Brandstifter“ gesuchen wurden, und alle wussten, was damit gemeint war.
Offen blieb in informellen Diskussionen, was im Christentum eigentlich die „Feuerstelle“ sei und davon ausgehend, ob dies unterschiedliche Dinge sein könnten oder ob es ein gemeinsam geteilter Kern sein müsse? Für die einen ist es das ethische Handeln Jesu, für andere die Verkündigungsleistung, für wieder andere wieder anderes.
Mechthild Reinhard bot dem Kongress das Stichwort des „Vertrauens in das Vertrauen“ an. Vertrauen sei in diesem Bezug keine emotionale Kategorie, sondern eine Entscheidung. Durch die Entscheidung, dem System/der Selbstorganisation um eine Feuerstelle herum zu vertrauen, sei Komplexitätsreduktion möglich. Interessant war auch der Hinweis von Prof. Sellmann im Ausblick des Kongresses, nicht nur die eigene Sendung in den Blick zu nehmen, sondern sehr genau zu schauen, welche Sendung uns die Umwelt/der Kontext/die Gesellschaft zuschreibt, weil auch diese große Relevanz habe.
Aus beraterischer Sicht erscheinen beide Hinweise höchst sinnvoll, vor allem in ihrer Kombination. Die Entscheidung, Vertrauen als Grundkategorie zu nutzen, wird konstruktivistisch gedacht die erlebte Realität verändern. Und dadurch werden Ressourcen frei, die wiederum in die Umwelt-Kopplung gesteckt werden können. Nach innen mehr Vertrauen und weniger Kontrolle und dafür besser herausfinden, was die Menschen von Kirche erwarten und brauchen, das klingt nach einem guten Vorsatz für 2018.
4. Spiritualität als explizites Thema
Spiritualität war ein Thema und ein Teil des Kongresses. Prominent war das Thema vertreten im Format „soul station“, in dem viele Referent*innen unterschiedliche geistliche Zugänge anboten zur Gestaltung von Organisation und Führung. So zeigten die Berater-Kolleginnen Henseler (Limburg) und Glandorf-Stotmann (Hamburg) anhand der Visionsarbeit, mit welchen Methoden in Veränderungsprozessen die geistliche Dimension gelingen kann. Die Verlangsamung von Prozessen, das explizite Hineinnehmen einer Bibelstelle in die konkrete Arbeit/Planung und das explizite Hören auf den Geist und die Anderen ermöglicht ein anderes Arbeiten und andere Ergebnisse.
Als Teil des Kongresses rundete eine gelungene Jazzvesper den ersten Kongresstag ab. Junge Musiker*innen aus dem Umfeld der Kölner Musikhochschule spielten Arrangements und Eigenkompositionen des Komponisten Andreas Theobald. Die vertonten Psalmen und das Magnificat hatten in der Kapelle einen tollen Klang und waren ein schöner und gelungener Abschluss des Tages. Warum diese Veranstaltung nicht „Gottesdienst“ genannt werden durfte, obwohl es das in meiner Wahrnehmung durchaus war, darf hier offen bleiben.
Besprochen wurde am zweiten Tag im Ausblick auch, dass die künstliche (?) Trennung zwischen „dem Geistlichen“ und „dem Alltagsgeschäft“ (oder der Organisationsentwicklung oder dem Design oder der Werbung) ein Problem darstelle. Wieso sei es nicht auch spirituell, wenn ein Beratungsprozess die Organisation in den Blick nehme? Interessant, dass wir das im Jahr 2017 noch diskutieren müssen. Dr. Valentin Dessoy wagte sogar die These, dass die Bewertung von „richtiger und falscher Spiritualität“ ein neues Machtmittel sei, mit der Menschen und ihre Arbeit abgewertet würden.
Meiner Beobachtung nach ist es aber durchaus ein Paradigmenwechsel innerhalb der Kirche, dass Spiritualität (wieder) explizit zum Thema wird. Vermutlich liegt auch das im Übergang von Volkskirche zu einem Entscheidungschristentum, den ich in einem anderen Artikel bereits beschrieben habe.
5. Gründer-Labore
Am zweiten Tag gab es ein Gründerlabor, in dem eigene Ideen und Projekte vorgestellt, diskutiert und verbessert werden konnten. Irritierend war dabei die Ansage, keine Produkte zu entwickeln („Das machen wir schon so oft“), sondern auf Haltungs- und Kulturveränderungen zu schauen. Wieso dies? Es passte gut zum roten Faden des Kongresses, indem nach verwirrenden und bereichernden Vorträgen die Teilnehmenden selbst aufgerufen waren, eine Haltungs- und Kulturveränderung vorzubereiten. In den ca. 20 Workshops, die intensiv an Themen arbeiteten, gab es mehrere positive Auswirkungen:
- Es entstanden Vernetzungsplattform von Kirchenentwickler*innen.
- Es wurde gelernt, in Projekten zu arbeiten (unterstützt durch hilfreiche Tools der Kongressleitung).
- Die Fremdheit von/ Angst vor Agilität wurde reduziert.
Mein konkreter Nutzen für die Praxis: für mich als Führungskraft gab der Kongress den Anstoß, mein eigenes Leiten in Frage zu stellen und nun mit meinem Team zu überlegen, wie wir mehr Selbstorganisation, mehr Agilität und Umweltkopplung in unsere Arbeit bringen. Und der Kongress lieferte ein Trainingscamp dafür.
Im Vorfeld hatte ich große Befürchtungen, dass die Energie des Kongresses in diesem Teil verloren gehen könnte. Dies erwies sich aber als nicht zutreffend, denn die Galerie mit den Ergebnissen war sehr vielfältig und die Ansprechpartner sehr auskunftsfähig. Die Fotodokumentation dieser Workshops soll in Kürze auf Futur2 verfügbar gemacht werden. Hier fällt mir auf, dass für mich die Verbindung zwischen Strategiekongress, der online-Zeitschrift Futur2 und dem Verein Strategie und Entwicklung nicht ganz klar ist, weil auch die handelnden Personen immer wieder in verschiedenen Rollen auftreten. Meines Erachtens nach sollte die Doku auf der Kongress-Webseite abrufbar sein.
6. Blick über den Tellerrand
Immer wieder gab es im Programm des Kongresses Blicke über den Tellerrand. Und diese waren nicht nur „nice to have“, sondern brachte wirklich flächendeckend neue Erkenntnisse. Und nicht nur die Wissenschaft trug hierzu bei, sondern neben der erwähnten Klinikgründerin und dem Unternehmensberater u.a. auch ein Cola-Hersteller (!). Uwe Lübbermann (an dessen Workshop ich leider nicht teilgenommen habe) hat Premium-Cola gegründet, und zwar als Reaktion darauf, dass er als Konsument nicht daran beteiligt war, als die Cola-Rezeptur seiner Lieblings-Cola verändert wurde (die ganze Geschichte gibt es hier). Das Unternehmen Premium-Cola ist als Kollektiv organisiert und Entscheidungen werden in einer Konsensdemokratie getroffen. Da brennt das Herz des schreibenden Politikwissenschaftlers, und nicht nur meins: der Workshop von Uwe Lübbermann erzielte eine große Resonanz, was zahlreiche Tür-und-Angel-Gespräche zeigten. Vor allem ein Thema war der „besondere Wert“ in einer solchen Organisationsform, der zum zweiten informellen Kongress-Motto wurde:
7. Gleichwürdigkeit
Gleichwürdigkeit beschreibt eine Haltung, die auch für Führungskräfte in Kirche eine gute Richtschnur sein könnte. Der Begriff Gleichwürdigkeit wurde von Jesper Juul im pädagogischen Kontext geprägt. Gemeint ist damit, allen Menschen Respekt gegenüber der persönlichen Würde entgegen zu bringen, unabhängig vom gesellschaftlichen Status, Alter, Geschlecht oder Rolle. Überraschend war, dass diese Begrifflichkeit und die Haltung dahinter auf dem Kongress eine sehr große Resonanz erhielt. Was sagt das aus über den kirchlichen Alltag, denn fremd ist diese Haltung im christlichen Menschenbild nicht?
Eine gelebte Gleichwürdigkeit in Kirche würde den Machtaspekt, der jede Hierarchie zugrunde liegt, relativieren. Ämter würden als Rollen oder Aufgaben auf Zeit verstanden werden können, in denen ich für eine bestimmte Zeit Verantwortung übernehme, aber nicht als Person besser, wichtiger oder bedeutender bin. In Ordensgemeinschaften gibt es hierzu eine lange Tradition. Wir könnten auf Augenhöhe miteinander umgehen und unser Gegenüber respektieren, auch wenn wir unterschiedliche Aufgaben und Rollen haben. Dies würde dazu führen, dass Beteiligung ernster genommen wird, weil alle Mitarbeitenden gute Ideen haben und meine Ideen als Leitung nicht per se besser sind als die der Referent*innen. Eine schöne Vision, oder?
8. Gelebte Ökumene
„Also, ich bin ja evangelisch!“ Zu Beginn des Kongresses meldeten sich einige Teilnehmende noch mit dieser Vorbemerkung zu Wort, was sich aber sehr schnell verflüchtigte. Nicht nur, dass mit dem IPOS schon lange ein evangelischer Träger Ausrichter des Kongresses ist, auch im Miteinander wurde schnell eine gelebte Ökumene deutlich. Teilnehmer*innen und Referent*innen von evangelischer und katholischer Seite brachten sich munter ins Geschehen ein und beim Ausblick am Kongress-Ende wurde deutlich, dass es in Bezug auf Führung keine bedeutsamen konfessionellen Unterschiede gab: alle stehen vor den gleichen Herausforderungen.
9. Alles steht bereit, aber warum geht es nicht los?
Das war mein Eindruck: auf dem Kongress gab es kein Ringen um richtige Antworten, sondern eigentlich war alles da und beschrieben, was es braucht, um Kirche der Zukunft in all ihrer Ungewissheit und Vorläufigkeit zu gestalten. Es könnte also losgehen! Aber wieso geht so wenig los? Eine Hypothese liegt nahe: auf dem Kongress war vor allem die „Sandwich“-Position kirchlicher Leitung vertreten: nicht ganz unten, nicht ganz oben. Und das ist nicht trivial. Man kann hoffen, dass da manch zukünftige Hauptabteilungsleiter*in und (Weih)Bischof unter den Teilnehmern saß. Geht nichts los, weil den Losgehern das Mandat dazu fehlt? Kreative Entrepeneure ohne Mandat?
Warum nicht mal einfach annehmen, die 140 Teilnehmenden müssten nicht auf die Zukunft der Kirche warten, weil sie die Gegenwart der Kirche sind. Wenn sie mal wirklich in ihren Bezügen so operationalisieren würden, wie gehört, erlebt und besprochen, würde sich wohl was ändern. Jesus, Franz von Assisi & Co. haben auch kein Zukunftsszenario entworfen und das von bestimmten Veränderungen abhängig gemacht, die sie selber nicht in der Hand hatten.
10. Digital ist die Zukunft
Leider fand dieser Kongress im Digitalen nicht statt. Es gab keinen einheitlichen #hashtag und bei Twitter komme ich auf ca. zehn Tweets, die von vier Personen gepostet wurden. Wie schade, denn es gab „draußen“ ein paar Menschen, die nicht vor Ort dabei sein konnten, und gehofft hatten, dennoch etwas mitzubekommen. Leider blieben sie außen vor. „Die Zukunft ist schon da, sie ist aber noch nicht gleichmäßig verteilt“, sagt der kanadische Science Fiction-Auto William Gibson. Und so wird es im Editorial der aktuellen Themenausgabe von Futur2 zitiert.
Grundsätzlich ist es bei „kirchlichen Veranstaltungen“ leider noch nicht üblich, dass es eine zweite Ebene auf Twitter o.ä. gibt. Dies liegt auch an den Teilnehmenden, die noch zu selten zu den „digital natives“ gehören. Und es liegt auch an den Organisierenden selbst, ob ihnen das Digitale wichtig ist. Hier besteht auf jeden Fall noch Verbesserungsbedarf. Vielleicht muss hier eine jüngere Generation mit in die Verantwortung genommen werden. Es könnte hilfreich sein, die vorhandene Intelligenz auch zu dieser Frage zu organisieren und zu steuern.
Ein nächster Strategiekongress, so die Veranstaltenden, wird voraussichtlich im Dezember 2019 stattfinden.
Bild: Unsplash; Jamie Templeton